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Der große Grenzverkehr

In Steven Soderberghs Film „Traffic“ wird die mexikanisch-amerikanische Grenze zum symbolisch aufgeladenen Ort der vernetzten Widersprüche

von ELISABETH BRONFEN

Hollywood-Thriller haben immer schon die mexikanisch-kalifornische Grenze als zentrale kulturelle Demarkationslinie inszeniert. Man denke nur an den angeschossenen Helden in Billy Wilders „Double Indemnity“ (1942), der die Grenze nach Mexiko zu überqueren hofft, um dort dem amerikanischen Gesetz zu entkommen. Oder an Raymond Chandlers verwundeten Kriegsveteranen in „The Long Goodbye“ (1953), der seinen eigenen Tod vortäuscht, um sich in Tijuana eine neue Identität zuzulegen, obwohl ihn seine Vergangenheit schlussendlich doch einholt.

Oder man erinnere sich daran, wie Orson Welles in „Touch of Evil“ (1957) die Brisanz, die diese Grenze im amerikanischen Bildrepertoire eingenommen hat, dadurch visuell umsetzte, dass er in seiner Eingangsszene von oben aus der Totalen ein Auto aufnimmt, in das gerade ein Unbekannter eine Bombe gelegt hat. Ohne Schnitt verfolgt Welles’ Kamera dieses Auto, fängt dabei auch den mexikanischen Drogenfahnder Vargas und seine junge amerikanische Braut ein, die ebenfalls die Grenze zu passieren suchen. Während die Umarmung des Paares das Verbindende zwischen diesen beiden Ländern zum Ausdruck bringt, kommt in der Explosion, mit der Welles seine kontinuierliche Kamerafahrt plötzlich unterbricht, das Gegenteil zum Ausdruck.

Diese Grenze ist ein geografischer und imaginärer Schnitt, den die amerikanische Ideologie benötigt, um sich von einem bedrohlichen anderen Ort – an den Verbrecher flüchten, von dem aus aber auch tödlicher Stoff in die Vereinigten Staaten eingeführt wird – klar abzusetzen. Dass Steven Soderbergh in „Traffic“ an diese Grenze zurückkehrt, ist sicherlich zum Teil eine Hommage an Welles. Auch er wählt die Vogelperspektive, um uns die Grenze, die heute zwischen San Ysidro und Tijuana verläuft, zu zeigen: Eine 28-spurige Autobahn, eine Verkehrssituation, die so komplex und unüberschaubar ist, dass die Wachen auf der mexikanischen Seite die Autos mit Ferngläsern kontrollieren.

Wie durchlässig die mexikanisch-amerikanische Grenze doch geworden ist: In dieser Szene passieren mexikanische Polizisten die Grenze nach Kalifornien, um mit Kollegen der Drug Enforcement Agency einen Deal zu machen, damit sie gemeinsam das Drogenkartell in Tijuana zerschlagen können. Gleichzeitig fährt Helena Ayala (Catherine Zeta-Jones) in die andere Richtung, um mit dem Chef dieses Kartells ihren eigenen Deal zu machen.

Die Überwachungskameras halten zwar ihr Auto auf dem Bildschirm fest, doch die Ware, die sie von einem Ort zum anderen transportiert, bleibt unbemerkt. Denn Helena Ayalas Grenzübertritt betrifft eine Zusatzbedeutung des Wortes Traffic. Neben illegalem Handel und Straßenverkehr bezeichnet dieser Ausdruck auch den Umgang zwischen Menschen, die aufgrund eines gemeinsamen Interesses in Verbindung treten. In Soderberghs Film wird dieser symbolische Verkehr auch filmsprachlich betont: Die einzelnen Spieler sind aufgrund des Drogenverkehrs, der die drei Hauptschauplätze in ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten verstrickt, alle miteinander verzahnt.

Jeder dieser Orte erhält von Soderbergh eine ganz eigene Färbung: Tijuana ein ausgewaschenes, verwüstetes Gelb, Cincinnati im Herzen Amerikas ein kaltes, graues Blau, San Diego als Umschlagplatz ein üppiges Sonnenlicht. Indem der Film zwischen diesen Schauplätzen unentwegt hin und her pendelt, wird sichtbar: Eine klare Abgrenzung gibt es nicht. Die verschiedenen Orte sind mit den Geschichten, die sich dort abspielen, in ein widersprüchliches System gemeinsamer Komplizität eingefangen, aus dem keiner unschuldig entkommen kann.

In Tijuana bekriegen sich zwei Drogenbarone – die Obregons und die Madrigals –, während General Salazar vermeintlich als Chef der Anti-Drogen-Einheit das Kartell zu zerschlagen versucht, eigentlich aber die eine gegen die andere Seite zum eigenen Profit ausspielt. Auch die beiden Drogenfahnder Rodriguez (Benicio del Toro) und Sanchez erkennen, dass zwischen den Vertretern des Gesetzes und den Verbrechern keine klare Grenze gezogen werden kann. Sie lassen sich, um zu überleben und gleichzeitig Sand in das Getriebe des Drogenverkehrs zu streuen, korrumpieren.

Derweil wird in Cincinnati der Richter Robert Wakefield (Michael Douglas) zum obersten Chef der Anti-Drogen-Behörde benannt, erfährt jedoch nicht nur im abstrakten Sinn den Widerspruch, der mit der Verschärfung des Drogengesetzes einhergeht. Hatte ihm eine entrüstete Senatorin in Washington D. C. erklärt, die Gesetze gegen Drogen würden einfach dazu führen, dass junge Menschen bessere Drogen billiger bekommen könnten, erlebt er im Herzen seines eigenen Heims die harte Realität dieser Polemik. Seine Tochter Caroline und ihre gelangweilten Freunde aus der Highschool werden bei Soderbergh zur Verkörperung des amerikanischen Hungers nach verbotenen Drogen.

Diesem beunruhigenden Zustand vernetzter Widersprüche gibt Soderbergh mit der von ihm selbst geführten Handkamera eine dokumentarische Bildqualität, setzt jedoch alles daran, die Kamera so diskret zu bewegen, dass man sie gar nicht mehr bemerkt. Er baut die Bevölkerung Tijuanas und reale Politiker in Washington in seine Szenen mit ein, um der Dringlichkeit seines politischen Anliegens Nachdruck zu verleihen.

Dabei geht es ihm auch – man siehe die Starbesetzung – um ein Cross-over zwischen unterhaltendem Politthriller und filmsprachlichen Innovationen. Ton und Bild klaffen oft auseinander, sodass beispielsweise ein Polizeieinsatz in Tijuana wie ein Videoclip mit Musik überlagert und somit jeglicher realen Referenzialität enthoben wird. Dann wiederum fällt der Ton ganz weg, oder aus dem Off sind Stimmen hörbar, deren Träger erst wenige Augenblicke später zu sehen sind.

So wenig es für die Verfilmung eines Drogenkrieges eine eindeutige filmsprachliche Auflösung geben kann, so wenig gibt es in diesem Krieg eine eindeutige Schuldzuweisung. Die Gier der Drogenbarone und der trafficker wird für die Misere ebenso verantwortlich gemacht wie der Hunger junger Amerikaner nach Drogen oder die amerikanische Gesetzgebung, deren Verbotsstrategie zur Kriminalisierung und somit sowohl zum Schwarzmarkt in amerikanischen Ghettos wie zum Verfall einer Grenzstadt wie Tijuana mit beigetragen hat.

Gleichzeitig wird noch ein weiterer unlösbarer Widerspruch sichtbar: Der Umstand, dass es in diesem Kampf immer nur einen partiellen Erfolg geben kann, lässt sich eben auch darauf zurückführen, dass sich die Grenze zwischen den legitimen Gesetzesvertretern und den Verbrechern verflüssigt hat. Der Drogenhändler Ruiz, Hauptzeuge gegen Carlos Ayala, weist die Männer vom DEA, die ihn bewachen, zynisch auf ihre eigene Komplizenschaft hin. Wenn sie Informationen zur Festnahme eines Drogenhändlers bekommen haben, dann nur, weil ein Kartell sich damit erhofft, dem Gegner zu schaden.

Am erstaunlichsten sind jedoch die Verdopplungen, die sich zwischen jenen Figuren ergeben, die um jeden Preis ein Stück des amerikanischen Traums für sich bewahren wollen. Am Ende von „Traffic“ sitzt Benicio del Toro in einem beleuchteten Sportstadion, in dem Baseball gespielt wird. Er hat sich sowohl auf einen Pakt mit den Amerikanern als auch mit den Gegnern der Obergons eingelassen. Seinen Profit nun hat er aber dafür eingesetzt, einen Ort bauen zu lassen, an dem der Tijuana-Jugend eine Alternative zum Drogenverkehr geboten wird. Eine widersprüchliche Hoffnung, wird dieses Stadion doch deutlich als Arena des Nationalspiels jener politischen Macht dargestellt, deren Drogenpolitik für den Verfall der Grenzstadt mitverantwortlich ist.

Auch sein Mitstreiter Michael Douglas hält an seinem Glauben fest, es könne eine Alternative zum Drogenkrieg gefunden werden. In seinem Fall bedeutet das einen Rückzug in eine andere Arena. Er verlässt die kriegerische Front, die an der Grenze zwischen Mexiko und den USA verläuft, um sich in eine andere Kampfzone zu begeben: Aus dem schwarzen Ghetto Cincinnatis holt er seine Tochter zurück, um ihr bei ihrer Rehabilitation zur Seite zu stehen.

Schließlich macht Soderbergh an der von Catherine Zeta-Jones gespielten Ehefrau eines Drogenhändlers deutlich, dass es in diesem Krieg zwar keine klaren Grenzen, dafür aber klare ethische Entscheidungen gibt: Helena Ayala greift in den Männerkampf ein und geht nach Tijuana, um den Besitz und das Ansehen ihrer Familie zu bewahren. Sie beharrt auf ihren family values, wohl wissend, dass ihr Wohlstand auf einem illegalen Handel beruht.

Wie Michael Douglas ist auch ihr das partikulare Wohl der Familie wichtiger als abstrakte Gesetze. Anders als er geht sie jedoch an die Front, die er verlassen hat, veranlasst den Mord am Kronzeugen und bewirkt somit das Ende des Prozesses gegen ihren Mann. Das bedeutet: Sie vereitelt die Hoffnung der DEA auf eine einfache und klare Lösung und hält somit den unlösbaren Widerspruch des mexikanisch-amerikanischen Krieges gegen Drogen am Leben. Die trafficker handeln weiter, die kalifornischen Agenten auch. Der Hunger nach verbotenen Genüssen ist noch lange nicht gestillt. Eine sehr nüchterne Einschätzung des schmutzigen Kerns im zeitgenössischen amerikanischen Wohlstand

„Traffic“. Regie: Steven Soderbergh. Mit: Benicio del Toro, Michael Douglas, Catherine Zeta-Jones u. a., USA 2001, 147 Min.

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