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The story of Prop

■ Kapital, sozial, scheißegal: Der Leipziger Neo Rauch malt eine äußerst eigenwillige und äußerst erfolgreiche Ost-West-Gesamtkunst und zeigt sie jetzt in der Weserburg

Es soll ja noch immer Leute geben, die auf den großen deutschen (Nach-)Wende-Roman warten. Da können sich die jungen LiteratInnen über Russendiskos, Helden wie wir oder Sommerhaus.später die Finger wund schreiben – mehr als Essays, Romänchen, Erzählungen oder Kurzgeschichten haben sie dem neuen Deutschland bislang nicht abpressen können. Oder hat da wieder jemand nicht aufgepasst? Genau: Jemand hat nicht aufgepasst. Denn nicht in der Literatur, sondern in der Malerei gibt es sie längst – die übergreifende (Nach-) Wende-Kunst. Zumindest wird eine Erfolgsgeschichte so erklärbar: die Geschichte des Neo Rauch.

Der 1960 geborene Leipziger Maler Neo Rauch ist national wie international derzeit so gefragt, dass er mit dem Malen kaum hinterherkommt. Selbst die Deutsche Bank, die ihre HeadhunterInnen mit prall gefülltem Geldkoffer in die Ateliers schickt und so ihre riesige, auf 50.000 Werke angewachsene Kunstsammlung weiter ausbaut, musste bei Rauch warten. Einem Bericht der AbonenntInnen-Beilage „kulturSpiegel“ zufolge, waren die inzwischen bis zu 70.000 Mark kostenden Großformate des Arno-Rink-Schülers bei einem Atelierbesuch gerade mal wieder ausverkauft und die Wartelisten lang. Etwas später bekamen die KunsteinkäuferInnen aus Frankfurt am Main dann doch ihre Bilder. Die haben sie dann zu einer Ausstellung zusammenfasst und auf Tournee geschickt, die jetzt im Neuen Museum Weserburg Station macht.

Es ist eine eigenwillig-grenzüberschreitende Zeichensprache, die der mehrfach als eigenbrötlerisch beschriebene Rauch da zu einem eigenen Stil collagiert hat. In seinen großformatigen, comichaften Kompositionen schafft er es, Assoziationen an Edward Hopper und US-amerikanische Reklame-Bilder der 40er und 50er Jahre sowie zugleich an Agit-Prop-Material der Stalin-Ära zu wecken. Surrealistische Zeichen laden die Bilder zusätzlich mit Spannung auf.

Ingenieure, Typen in Tankwartsuniformen und andere Vertreter aus Dienstleistungsberufen bevölkern die Bilder, die Neo Rauch nach einem kurzzeitigen Herüberdriften ins Informel mit gegenständlichen Motiven bestückt. In „Frost“ wachsen ihnen Schwänze, dortselbst und in „Fell“ treten sie zusätzlich als eierköpfige Wesen auf. Mit größtenteils dumpfen, mal matt leuchtenden Mischfarben schafft Neo Rauch seinen Gestalten Umfelder aus Ladenlokalen, sauberen Industrielandschaften und anderen, wie am Reißbrett entworfenen Gegenden, die plötzlich als bloße Farbflächen verenden. Allein auf manchen Blicken in diese Bilderwelt schwirren Würstchen durch die Luft. Oder sie kringeln sich wie ein Haufen schwarzer Kacke am Boden.

Oder sie sind in blauer Farbe selbst Kunstobjekte einer virtuellen Galerie geworden. Erregt gestikulieren die Menschendarstellungen dazu, doch ihre Blicke sind so leer wie die Comic-Sprechblase auf dem Bild „Prima“.

Rauchs Welt ist eine raffinierte, alles andere als triviale Montage aus den Bildsprachen, mit denen hüben wie drüben der Neue Mensch entweder an sozialistischer Plan-Übererfüllung oder am Massenkonsum genesen und gedeihen sollte. Sie wirkt ein bisschen geschichtlich, wie ein historischer Rückgriff. Die überraschende Verwandtschaft von Versatzstücken aus der früheren Ästhetik Ost und West lässt sie schillern. Offen bleibt jedoch die Frage, ob sich Neo Rauch eines Tages auch auf den Weg in die Gegenwart und ihre Zeichenwelten machen wird. ck

Bis zum 17. April im Neuen Museum Weserburg; Katalog: 15 Mark; Öffnungszeiten: Di-Fr 10-18, Sa+So 11-18 Uhr.

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