Topfpflanzenterror

Schüchterne Gesten, bärbeißige Spürnasen und eine Altersromanze im Treppenhaus: Benito Zambranos Regiedebüt „Solas“ untersucht Zerfall und Neuerfindung der spanischen Familie

von ANDREAS BECKER

Nicht dass diese Geschichte nicht auch in Nordeuropa spielen könnte. Aber an die Auflösung von Familienstrukturen zugunsten vagabundierender Einzelwesen ist man bei uns längst gewöhnt und propagiert die Versingelung der Gesellschaft eher, als dass man sie filmisch hinterfragen würde. In einem Land wie Spanien ist „Solas“ (was so viel wie „einsam“, „allein“ bedeutet) ein Zustand, mit dem eher Schmerz als individuelle Freiheit assoziiert werden. Benito Zambranos Film, der auf der Berlinale 99 den Panorama-Publikumspreis gewann, schildert Zerfall und Neuentstehung menschlicher Nähe.

Maria, schwanger von einem ausgemachten Machoarsch und Lkw-Fahrer, hat das Schicksal schwerstens mit dem Wischmopp malträtiert. Diese Frau will ihre Ruhe, in ihrem Gesicht aber schreit eine Seele wortlos um Hilfe. Und wer taucht auf? Muttern. Rosa, die alte Frau vom Lande, schlüpft in Tochters karger Wohnung in Sevilla unter. Maria kann sich zunächst mit den schüchternen Annäherungsversuchen und plötzlich auftauchenden Topfpflanzen gar nicht anfreunden. Wesentlich besser versteht sie sich mit dem Alkohol – was ja bei Schwangeren eigentlich nicht so gut sein soll ... Aber Marias Leben scheint eh verpfuscht – mit Anfang 30.

Da haben die herzensgute Mutter und der bärbeißige Vater, den diese jeden Tag im Krankenhaus besucht, schon ganz andere Dinge durchgestanden. Schnell fragt sich der Betrachter denn auch, wie sehr Muttern ihren Meckerpott im Krankenbett eigentlich lieben muss, um dessen Misstrauen und Miesepetrigkeit mit gütigem Lächeln zu ertragen. Am schlimmsten ist die gute Nase des Alten in Kombination mit notorischer Eifersucht. Kaum hat die immer wie mit schweren Beinen das Treppenhaus hochächzende Rosa sich ganz vorsichtig mit einem schüchtern-sympathischen alten Herrn in Marias Haus angefreundet, schnüffelt der Bettlägrige den vermeintlichen Verrat: „Du riechst nach Mann!“

Der ältere Nachbar lebt schon ewig allein mit seinem Hund. Dermaßen zärtlich schildert Regisseur Zambrano die heimliche Annäherung der Alten, dass man meint, die Ehe sei eben doch eine viel zu lange Zwangsbindung zweier Menschen. Rührend, wie der Grandseigneur einmal einen ganzen Abend sehnsüchtig vergeblich wartet. Auch sein Hund ist aus lauter Einsamkeit des Herrchens schon ganz auf Rosas Schritte im Treppenhaus fixiert.

Intimität aber ist bei dieser Altersromanze nur sehr, sehr vorsichtig möglich. Allein schon wegen der Spürnase im Krankenhaus. So müssen die sich mit beiläufiger Heimlichkeit Treffenden zufrieden sein, wenn sie ihm ein Essen kocht (was er zunächst brüsk ablehnt) oder wenn sie ihn empfindsamer als jede Pflegerin nach einem nächtlichen „Bettunfall“ wäscht.

Irgendwann will Maria ihr Baby austragen. Und da ihr Vater aus dem Krankenhaus entlassen wird und Muttern deshalb zurück aufs Land muss (fast hofft man, sie möge doch bei ihrem „Treppenhaus-Lover“ bleiben), entwickelt sich eine seltsame, aber irgendwie doch überzeugende Freundschaft zwischen der Schwangeren und dem Nachbarn. Und eine ganz besondere, zart-utopische Variante der neuen spanischen Patchworkfamily.

„Solas“. Regie: Benito Zambrano. Mit: Ana Fernández, Carlos Álvarez-Novoa, María Galiana u. a. Spanien 1999, 98 Min.