: Wohl temperierte Empörung
Elegantes Kämpfertum gegen das Profitstreben der schönen, neuen Wirtschaftswelt: Viviane Forrester stellte im Berliner Haus der Wirtschaft ihre aktuellen Antiglobalisierungsthesen mit dem Titel „Diktatur des Profits“ vor
Das Ambiente ist gediegen, Holz, schallschluckende Teppichböden im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin-Mitte. Graf Philipp von Walderdorff vom Deutschen Industrie- und Handelstag begrüßt die Referentin, die mit zebragemusterter Stola über dem eleganten schwarzen Hosenanzug den Saal betritt. Gleich wird sie gegen die „Diktatur des Profits“ wettern und den „Terror der Ökonomie“ geißeln. Viviane Forrester ist immer noch eine Erscheinung – in mehrfacher Hinsicht.
Mit ihrem Essay „Der Terror der Ökonomie“ hat die französische Essayistin vor fünf Jahren einen internationalen Bestseller gelandet. Das Buch enthält weder neue theoretische Ansätze noch bemerkenswerte Daten. Es ist schlichtweg eine einzige Anklage gegen die Massenarbeitslosigkeit. Jetzt hat Forrester mit „Die Diktatur des Profits“ eine zweite Schrift nachgelegt. Auch dieses Buch ist eine Anklage, diesmal nicht nur gegen das Profitstreben in den Unternehmen, sondern auch gegen die Spekulation auf den Finanzmärkten. Doch wer will das noch hören?
Achtzig Leute sind gekommen, als Forrester ihr Buch in Berlin vorstellt, darunter LehrerInnen, StudentInnen, ein paar Journalisten. Zu Beginn sagt von Walderdorff ein paar relativierende Worte zu Madame. Man müsse die Dinge doch realistisch sehen, sagt der Graf. In Wirklichkeit gebe es in Deutschland doch höchstens 1,5 Millionen Arbeitslose. Viele zählten als Arbeitslose, obwohl sie sich nur „aus formalen Gründen in die Arbeitslosigkeit flüchteten“. Überhaupt müsse man die Unternehmen „ein- und ausatmen“ lassen. Wer nicht überlebensfähig sei, der müsse eben eingehen.
Das ist der Startschuss. „Das, was ich gehört habe, hat mit der Realität nicht viel zu tun“, sagt die Dreiundsiebzigjährige mit wohl temperierter Empörung und lässt übersetzen. Es könne nicht sein, dass die Ökonomie die Priorität vor den Menschen habe. Es könne auch nicht sein, dass die Würde des Menschen allein davon abhänge, ob er Arbeit habe oder nicht. „Die Würde hängt davon ab, ob er einen Sinn in seinem Leben sieht.“
Forrester rehabilitiert die Arbeitslosen, verleiht ihnen bürgerliche Anerkennung; das ist ihre Botschaft. „Jeder Mensch verdient Achtung“, erklärt sie und protestiert gegen die Praxis des amerikanischen „workfare“, Arbeitslose zu einer schlecht bezahlten Beschäftigung zu zwingen. Das elegante Auftreten, mit dem sie auch als Seniorchefin eines Modehauses durchgehen könnte, verleiht der preisgekrönten Romanautorin und Essayistin ihre Aura: Sie wirkt wie eine wohltätige Dame aus höheren Schichten, könnte aber auch eine prominente Anwältin sein, die aus Idealismus und Eitelkeit gratis für die Würde armer Mandanten kämpft.
Eine „Stimme“ gegen die Ideologie des Profitstrebens will sie sein, keinesfalls sei sie Ökonomin oder Wissenschaftlerin, betont sie immer wieder und entgeht damit nervenden Diskussionen über wirtschaftliche Zusammenhänge. Die Abstürze in der Neuen Ökonomie und an den Aktienmärkten sind für sie Beweis genug, dass sie Recht gehabt habe mit der Kritik an der „virtuellen Ökonomie“. Die jungen Start-up-Unternehmer sind für sie „Verführte“, die der Diktatur des Profits geglaubt haben.
Forresters Popularität steigt immer dann, wenn die Wirtschaft Missstimmung erzeugt. Deswegen wird sie auch am kommenden Sonntag in der Gesprächsrunde von Sabine Christiansen auftreten und die Kursstürze kommentieren.
„Einen gewissen Hinweis hätte ich aber schon gern, welche Alternativen es geben könnte“, bittet ein junger Mann aus dem Publikum. Forrester wirft ein paar Brocken hin: keine Ankopplung der Altersvorsorge an die private Finanzwirtschaft, mehr Geld für das Gesundheitswesen. Allzu konkret will sie nicht werden. Schließlich steuern wir auf „ein gesamttotalitäres Monopol“ zu, auf eine „Diktatur des Profits“, die sich „selbst Stalin nicht hätte träumen lassen“. Doch da haben sich die Reihen der Zuhörer schon merklich gelichtet.
BARBARA DRIBBUSCH
Viviane Forrester: „Die Diktatur desProfits“. Hanser Verlag 2001,216 Seiten, 35 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen