Kinderkriegen ist keine Privatsache

aus Paris DOROTHEA HAHN

100 Millionen Franzosen sollte es geben – genug, um die Bevölkerungen aller umliegenden Länder in den Schatten zu stellen, und genug, um langfristig die Altersversorgung im Land zu sichern. So stellte es sich „der General“, Charles de Gaulle, in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vor – und leitete eine Politik ein, die das Kinderkriegen massiv förderte. Die damals gewählten Mittel gelten heute noch: erhebliche Steuernachlässe, großzügiges Kindergeld, frühzeitige Verrentungen für verbeamtete Vielfach-Mütter, Ganztagsschulen und immer neue Krippen- und Kindergartenplätze sowie Beihilfen zu häuslichen Kinderpflegekräften.

Der Baby-Boom, den de Gaulles Politik in den 50ern und 60ern einleitete, stand in krassem Kontrast zu der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als die Französinnen nur noch so wenige Kinder in die Welt setzten, dass dies in den 20er-Jahren als Begründung für die Kriminalisierung der Abtreibung herhalten musste. Zwar gibt es heute nur knapp 60 Millionen Franzosen. Aber immerhin sind sie diejenigen EU-Europäer, die sich am meisten vermehren. Mit anhaltend steigender Tendenz: Im vergangenen Jahr kamen in Frankreich 778.900 Babys zur Welt – 5 Prozent mehr als 1999. Besonders positiv setzt sich das Land gegenüber den katholischen Nachbarn ab, wo Kinderkriegen zwar ideologisch erwünscht sein mag, aber finanziell als Privatsache betrachtet wird.

Rechts wie links der politischen Mitte und sowohl bei jungen als auch bei alten Franzosen ist die Kinder fördernde Politik unumstritten. Mit den Familienbeihilfen – die ab dem dritten Kind aufwärts besonders großzügig werden – kalkulieren junge Franzosen als feste Einkommensbestandteile. Erst letzten Oktober verabschiedete die rot-rosa-grüne Koalition einen 1,5 Milliarden Franc (ca. 0,45 Millarden Mark) schweren Investitionsfonds, um dringend nötige Krippenplätze zu bauen. Selbst die Patrons einiger großer Unternehmen ließen sich – durch Steueranreize – dazu verleiten, ihren Beschäftigten zusätzliche monatliche Kinderzuschläge zu zahlen.

In steuerlicher Hinsicht bedeutet die Kinderförderung à la française, dass ab dem dritten Baby so viel für ein Kind abgesetzt werden kann wie für einen Erwachsenen. Auch das Kindergeld wird ab dem dritten Baby aufwärts mit knapp 300 Mark pro Nase finanziell interessant. Hinzu kommen einkommensabhängige Förderungen zum Wohngeld und zur bezahlten Kinderbetreuung und die Befreiung von Sozialabgaben für die Beschäftigung von privaten KinderbetreuerInnen.

Finanziert wird diese Politik aus der so genannten Familienkasse. Sie wird zu einem Drittel vom Staat, zu zwei Dritteln von besonderen Arbeitgeberabgaben (5,4 Prozent des Bruttoeinkommens jedes Beschäftigten) gespeist. Unter anderem fließen auch Gelder aus den Tabaksteuern in diese „Familienkasse“.

Bei diesem Finanzierungsprinzip soll es bleiben. Auch im Rahmen des Gesetzes über eine – einkommensabhängige – Beihilfe für Alterspflegefälle, das die Regierung in Paris gegenwärtig plant, ist von keiner zusätzlichen Sonderabgabe – wie etwa in Deutschland – die Rede. Die deutsche Aufregung über den Verfassungsgerichtsentscheid zur „Pflegeversicherung“ ist angesichts dieser Politik schwer nachvollziehbar. Wer Kinder kriegt, wird in Frankreich seit Jahrzehnten positiv diskriminiert. Das gehört zum nationalen Konsens. Auch bei Kinderlosen.