: Das garantiert andere Ende der Welt
Laborlavache mit ihrer famosen, preisgekrönten Tschechow-Adaption „Sitzen in Hamburg“ in den Sophiensälen
Olga, Mascha, Irina. Drei Schwestern, ein Problem: Sie alle wollen weg, bloß weg aus Hamburg und dort nicht sitzen bleiben. Denn Hamburg ist Provinz mit Milchglasscheibenfenstern und Synonym für Stillstand, Unzufriedenheit und Selbsthass. Irina, die heute obendrein ihren dreißigsten Geburtstag feiern muss, will dringend nach Berlin – um zu arbeiten, als könnte man das nur dort und nirgends sonst. Mascha träumt sich in ein mondänes Straßencafé nach Paris, muss aber ebenfalls erst noch in die Hauptstadt, wo sie einen 1,90 großen, kastanienbraungewellthaarigen Journalisten namens Alexander kennen gelernt hat („Klingt das nicht ein bisschen ausgedacht?“, fragen Irina und Olga, gelb vor Neid), der allerdings – genau wie sie selbst – schwer verheiratet ist. Und Lehrerin Olga, das verrät schon ihr steifer und zugeknöpfter Kimonocharakter, will gleich nach Tokio, ans garantiert andere Ende der Welt. Aber davon träumt und spricht man nur, denn eigentlich ist keine Angst so groß wie die vor der Veränderung. Tatsächlich kommt dann alles wie bei Tschechow. Und doch ganz anders, als man denkt.
„Sitzen in Hamburg“ ist die erste, mit zwei Preisen (dem Kurt-Hübner-Preis für Regie und dem Fernsehpreis des ZDF beim nordrhein-westfälischen Theaterfestival Impulse) ausgezeichnete und nun in den Sophiensälen vorgestellte Arbeit von Laborlavache, einer freien und weiblichen Hamburger Theatertruppe, die aus den Schauspielerinnen Katja Hensel (Mascha), Stefanie Höner (Irina), Judith Huber (Olga) und Barbara Wurster (Natalja), der Regisseurin Christiane Pohle und der Bühnenbildnerin Esther Bialas besteht. Laborlavache – was rein lautlich sehr sanft und flüssig tönt, sonst aber ein bisschen bizarr nach Kuhlabor klingt – haben für ihre erste Produktion sämtliche Männerrollen gestrichen.
Dafür haben sie die drei Schwestern sprachlich, aber auch dramaturgisch kräftig angespitzt, indem sie Natascha, die „ordinäre“ Frau des heiß geliebten, natürlich abwesenden Bruders Andrej, zur Schlüsselfigur und zum Feindbild befördern. Ein cleverer Gedanke – nicht nur, weil er reizvolle Anlässe zum so indirekten wie modernen Männer-Einspiel über Anrufbeanworter und Diktiergeräte liefert.
Natalja, die im Original nervig ordinäre Mutterkuh, schweißt also hier als lebenslustige, aber farbenblinde Person drei Szenen lang die vergleichsweise intellektuell und emanzipiert erscheinenden Schwestern zusammen, um dann deren interne Spannungen und Aggressionen ans Tageslicht zu zerren. So einträchtig sie anfangs als Andrejs Angels in glockenheller Dreistimmigkeit den Frühling beschwören, so Orgelpfeifen-ordentlich sie aufgereiht bei Tische sitzen oder – als sie erfahren, dass sie längst Tanten geworden sind – einander panisch beruhigende Nackenmassagen erteilen, so aufgedreht sie fastnachts singen, springen, schwanger spielen, Titten grabschen – am Ende stellt sich leider raus: Frau verachtet einander auch von Herzen. Vereint im Selbstmitleid hingegen ist es ziemlich leicht, sich ständig furchtbar gern zu haben und zu brauchen.
Über diese letztlich triste Botschaft trösten Gespür für Tempo, Beweglichkeit, Wortwitz sowie das unglaublich komische und überhaupt große Talent der Schauspielerinnen hinweg, die sehr angenehm und kunstvoll in der Schwebe halten, ob sie nun mehr rollenspielen oder selbstdarstellen. Nicht nur für den Fall, dass Hamburg Provinz sein und Laborlavache Provinztheater machen sollten: Gerne mehr davon!
EVA BEHRENDT
Weitere Aufführungen: heute, morgen und vom 13. bis 16. 4., 20 Uhr, Sophiensäle, Sophienstr.18, Mitte
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