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Tod den geliebten Brüdern

In Libyen werden Schwarzafrikaner ermordet – aus Rassismus. Der Student Makiki Kumba aus Kamerun bleibt trotzdem

Die Regierung tarnte die Massenflucht zunächst als Ausweisungsaktion illegaler Einwanderer

aus Tripolis JULIA GERLACH

„Ein herzliches Willkommen unseren Brüdern aus Afrika“: Das Transparent mit den grünen Buchstaben flattert zwischen zwei Palmen. „Wer es glaubt, wird selig“, kommentiert Makiki Kumba und schmatzt verächtlich mit dem Mundwinkel. Der 26-Jährige hat seine Hände tief in die Taschen seiner Levis-Jeans vergraben. Ein kräftiger Wind fegt über den Grünen Platz in der Innenstadt von Tripolis und rüttelt an den unzähligen Propagandatafeln: Überbleibsel vom letzten Großereignis. Ein Sondergipfel afrikanischer Staaten. „Die Regierung propagiert die Freundschaft zu den Afrikanern und die Bevölkerung hasst uns“, sagt Makiki Kumba. Er stammt aus Kamerun. Seit sechs Jahren studiert er an der Universität von Tripolis Medizin. Basecap und Daunenweste: Makiki Kumba unterscheidet sich kaum von den anderen Jugendlichen, die hier im modernen Teil der Millionenstadt durch die Straßen schlendern. Wäre da nicht seine Hautfarbe.

Nach drei Schritten, die wir nebeneinander gegangen sind, ist klar: Hier gibt es ein Problem. „Ein schwarzer Mann und eine weiße Frau zusammen auf der Straße, das verkraften die Libyer nicht so gut“, kommentiert Makiki Kumba die hasserfüllten Blicke. Selbst der nette Zeitungsmann, mit dem ich kurz vorher noch geplaudert habe, schaut jetzt finster, erwidert mein Lächeln nicht. Makiki Kumbas Vorlesung ist gerade vorbei, jetzt ist er auf dem Weg in seinen Lieblingsbuchladen, einen der ganz wenigen in Libyen, die auch englische und französische Bücher führen: „Ich brauche Nachschub“, sagt er und inspiziert die klägliche Auswahl: Krimi oder Klassiker. Hat er beide schon gelesen. Natürlich kann er auch Arabisch, aber nur ein englisches oder französisches Buch hilft gegen Makiki Kumbas Heimweh. „Weißt du, es ist nicht so leicht, hier zu leben. Am besten, man bleibt zu Hause und liest Bücher. Vor allem nach dem, was im letzten September passiert ist.“ Er macht eine Pause: „Viele meiner Freunde sind aus Libyen geflohen.“

Es ist schwierig zu rekonstruieren, was Mitte September vergangenen Jahres in einem Stadtteil von Tripolis wirklich geschehen ist. „Die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen zwei rivalisierenden Drogenhändlerringen, die ihr Geld zusätzlich durch Prostitution und Schmuggel verdienen, führte zu mehreren Toten“, berichtete die offizielle Nachrichtenagentur Pana Ende September. „Massaker in Libyen“, titelte eine Zeitung in Ghana: „Am 24. September gegen 10 Uhr vormittags drangen rund 1.000 junge Libyer in das Wohngebiet der Immigranten aus Ghana ein und eröffneten das Feuer“, schreibt der Ghanian Chronicle unter Berufung auf Augenzeugen. „Die libysche Regierung hat jahrelang ihren Untertanen eingeimpft, uns zu hassen“, erzählt Makiki. Den Bücherkauf hat er verschoben. Wir sitzen in einem kleinen Café im Innenhof eines der prächtigen weißen Kolonialgebäude und trinken Bananenshakes. Es war nicht schwierig, ihn zu überreden. Er hat Schreckliches erlebt und er will davon erzählen, die ganze Geschichte, von Anfang an: „Die Regierung hat immer wieder gesagt, dass wir Schwarzafrikaner dreckig und arm sind, Probleme und ansteckende Krankheiten haben.“

Ende der Neunzigerjahre änderte sich Gaddafis Haltung zu Afrika schlagartig: Aus Dankbarkeit für die Unterstützung der afrikanischen Bruderstaaten im Kampf gegen die UN-Sanktionen rief er im September 1999 die „Vereinigten Staaten von Afrika“ aus. Er investierte viel Geld und Mühe, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. „Doch sein Volk hasste uns weiterhin. Ich glaube gar nicht mal, dass sich dieser Hass wirklich gegen uns als Schwarze richtet. Sie hassen ihren Führer und trauen sich nicht, etwas gegen ihn zu tun. Also machen sie Jagd auf uns und wollen ihn damit treffen“, sagt Makiki Kumba. Auslöser für die Hetzjagd sei ein neues Gesetz gewesen: Es erlaube schwarzen Männern, libysche Frauen zu heiraten. „Ich habe gelesen, dass Gastarbeiter aus Schwarzafrika eine libysche Frau vergewaltigt hätten und dass dies der Grund für die Gewalt war“, entgegne ich. „Ha, du kennst doch die Libyer, für die ist eine solche Gesetzesänderung fast gleichbedeutend mit einer Vergewaltigung.“ Mitte September vergangenen Jahres hätten sich dann Gruppen von jungen Libyern auf die Suche nach Opfern gemacht. Sie hätten Häuser angezündet und die Menschen erschlagen. Selbst die Polizei habe sich beteiligt. Offiziell ist von sechs Toten die Rede, Human Rights Watch meldete über fünfzig. „Ich weiß nicht, wie viele es waren“, sagt Makiki Kumba, „aber ich kenne alleine zwei.“ Er weiß nicht genau, wie sie gestorben sind. Sie waren plötzlich weg. Er habe sich bei Freunden versteckt. „Libysche Freunde“, präzisiert er. Sie hatten ihm einen Platz auf dem Sofa angeboten. Er musste trotzdem aufpassen, denn die Kinder auf der Straße gaben den Schlägerbanden Tipps, wo sich Ausländer versteckten. Diese Freunde waren einer der Gründe, wieso Makiki Kumba nicht, wie viele andere, das Land verließ: „Wenn man sich einmal kennen gelernt hat, dann ist Freundschaft mit Libyern kein großes Problem.“ Und dann gibt es da noch einen anderen Grund für sein Bleiben: „Weißt du, ich bin hergekommen, um Arzt zu werden“, erklärt er. Da könne er nicht einfach aufgeben, so kurz vor dem Examen.

„Sie hassen ihren Führer und trauen sich nicht, etwas gegen ihn zu tun. Also machen sie Jagd auf uns.“

Er hatte große Hoffnungen, bevor er nach Tripolis kam. Die Universität gilt als modern und gut, und zudem gibt es Stipendien. „In einem anderen Land hätte ich wohl nicht studieren können“, sagt Makiki Kumba. Er stammt aus einer kamerunischen Kleinstadt. Also bleibt Makiki Kumba und verbringt jetzt noch mehr Zeit bei seinem Buchhändler und im Internetcafé. Sieben neue Computer stehen dort, gemütliche Stühle, Nescafé. Und es wird gechattet, aber nicht nur im Internet. Eine Studentin ist zum ersten Mal hier, weiß noch nicht, wie sie die Programme öffnet. Sie blickt sich hilfesuchend um. „Dies ist ein guter Ort, um libysche Mädchen kennen zu lernen“, flüstert Makiki Kumba. Solche Freundschaften seien zwar ziemlich gefährlich, aber „man muss doch was tun, damit die Libyer endlich mal ein bisschen lockerer werden“. Außerdem hält er per E-Mail Kontakt zu seinen Freunden, die Libyen verlassen haben.

Bis zu 30.000 der schätzungsweise 1 Million Schwarzafrikaner, die im ölreichen und bevölkerungsarmen Libyen arbeiten, haben seit September das Land verlassen. Die libysche Regierung tarnte diese Massenflucht zunächst als Ausweisungsaktion illegaler Einwanderer. Erst als die ersten Ankömmlinge in Nigeria von den schrecklichen Vorkommnissen berichteten, wurde der Ton versöhnlicher. Als Jerry Rawlings, der Präsident von Ghana, am 10. Oktober 2000 persönlich nach Libyen reist, um seine Landsleute zurückzuholen, äußert sich Revolutionsführer Gaddafi: „Wir bedauern die Zusammenstöße zwischen Brüdern, die von verborgenen Kräften angezettelt und vorangetrieben wurden.“ Anfang November verspricht er dann die Untersuchung der Vorfälle und die Betrafung der Täter. „Man muss sehen, dass dies ein ernst zu nehmender Anschlag auf unser afrikanisches Projekt und die libysche Führerschaft über Afrika darstellt“, so seine Begründung. Zwei Regierungsmitglieder wurden ihrer Ämter enthoben, und Ende Januar wurde in Tripolis der Prozess gegen 291 Libyer und 26 Immigranten eröffnet. 15 Punkte umfasst die Anklage: Verschwörung gegen den Staat, Sabotage und Waffenbesitz. An letzter Stelle wird auch Totschlag genannt.

In der Altstadt von Tripolis, in diesen verschlungenen Gassen mit den Torbögen und den unglaublich verfallenen Häusern, ist der Traum von Oberst Gaddafi schon in Erfüllung gegangen: „die Vereinigten Staaten von Afrika“. Eine Sudanesin im bunten Gewand holt Wasser, eine Frau aus dem Tschad tröstet ein schreiendes Kind. „Na ja, wir Libyer finden es hier nicht so schön“, erklärt mir Anwar Abdel Kader. Seine Familie ist eine der letzten libyschen, die noch hier im Stadtteil wohnt. „Nichts ist mehr so wie früher, schau dich um, total verkommen“, Anwars Großvater fährt mit dem Arm durch die Luft und schließt Häuser, Menschen und die streunenden Schafe in sein Urteil mit ein. Anwar führt mich in den Keller des Hauses. Dunkel ist es und muffig. Den Boden bedeckt Bauschutt. Ich erschrecke, als ich in eine der Nischen schaue. Da sitzt ein Mann und liest unter einer kleinen Lampe. Hier im Keller leben neun Filipinos zur Untermiete. „Das sind ganz gute Menschen“, erklärt Anwar Abdel Kader: „Die arbeiten, ohne auf die Uhr zu gucken, essen und spielen Karten. Nie beschweren sie sich“, sagt er und nimmt auf einem umgedrehten Plastikeimer Platz. Ali Ibrahim, einer der Filipinos, macht uns Tee und schält mir eine Mandarine. Er lächelt. Kurz nach den Vorkommnissen des letzten September nahm die libysche Regierung Verhandlungen mit Sri Lanka auf. Es ging um Anwerbung von Arbeitskräften. Vielleicht kommt jetzt aus Asien Ersatz für die geflüchteten Brüder aus Schwarzafrika. Irgendjemand muss schließlich auf den großen Baustellen arbeiten, die Straßen und den großen Grünen Platz in der Innenstadt von Tripolis fegen. Die meisten Libyer würden sich gegen solche Jobs wehren. Lange wird das Transparent „Ein herzliches Willkommen unseren Brüdern aus Afrika“ nicht mehr halten. Irgendjemand muss dann auch diese Fetzen zusammenkehren.

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