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May o May ...

■ Ein Jahr nach ihrer zweiten Grand-Prix-Kandidatur präsentierte die Bremer Sängerin Corinna May jetzt neue musikalische Leidenschaften im Waldau-Theater. Ihre Begleitband dachte allerdings, sie sei auf einer Kreuzfahrt

Man hat sich lange nicht gesehen. Bisweilen zieht darüber eine Fremdheit in alte Bekanntschaften ein, die erst einmal überwunden sein will. Unsere beiden spöttischen Konzertgänger Blohm und Voss können sich schon kaum noch daran erinnern, wann sie sich zum letzten Mal über eine musikalische Abendveranstaltung hergemacht haben. Egal. Beim Auftritt von Corinna May am Wochenende im Waldau-Theater feierten sie ein zweifaches Wiedersehen und wurden Zeugen, wie die Bremer Sängerin ihr Publikum ein Jahr nach ihrer zweiten Grand-Prix-Kandidatur mit neuen Leidenschaften konfrontiert.

Voss: Sie wollen mir sagen, dass Ihre Frau mal neben der Familie May gewohnt hat?

Blohm: Nicht ganz. Die Familie heißt Mayer, wenn ich mich recht entsinne, May ist nur ihr Künstlername. Das war, bevor Frau Blohm und ich uns kennen lernten. Sie wäre zu gern gegangen – leider ist sie unpässlich. Da hat sie gesagt, ich solle doch trotzdem gehen und schauen, was die May jetzt wohl macht.

Voss: Ist Ihnen die Dame ein Begriff?

Blohm: Nur aus den Erzählungen meiner Frau. Es soll da einige tragische Verwicklungen mit einem Ralph Siegel und nicht geklärten Fällen geistigen Eigentums in Verbindung mit diesem Schlagerwettbewerb geben, auf dem wir letztes Jahr waren.

Voss: Jaja, sprechen wir nicht davon. Es wäre wohl auch im Sinne von Frau May, wenn wir die Show einfach als Show nehmen.

Blohm: Das haben Sie schön gesagt. Allerdings komme ich nicht umhin, mich an das Animationsprogramm einer Kreuzfahrt erinnert zu fühlen. Sehen sie sich einen Moment diesen Gecken an den Congas an. Oder der Schlagzeuger mit dieser Gesangseinlage vorhin. Elvis Presley, wenn ich mich nicht irre. Abendunterhaltung an Deck. Und Cocktails für teures Geld. Glauben Sie mir, ich weiß wovon ich spreche ...

Voss: Mich erinnert er eher an einen Busfahrer, der sein Publikum wach über die Distanz Bremen-Paris bringen will. Fehlt bloß noch, dass er Witze erzählt.

Blohm: Hat er doch.

Voss: Ach ja?

Blohm: Frau Blohm hat immer gesagt: Das arme Mädchen, blind. Aber eine so schöne Stimme. Darüber lässt sich schwerlich spaßen.

Voss: Weil man sich über anderer Leute Beschränkungen nicht lustig macht?

Blohm: Weil diese Witze zu nahe liegend sind, um witzig zu sein.

Voss: Und welchen Witz hat der nun gemacht?

Blohm: Er stellt sich neben Frau May, versucht, auch die Leute hinten im Publikum zum Mitklatschen zu bewegen, legt eine Hand über die Augen und sagt: Ich sehe alles.

Voss: Das ist so weit von einem guten Witz entfernt wie er von Elvis.

Blohm: Sie hätte allerdings eine bessere Band verdient, als diese „Hamburg Soul Foundation“.

Voss: Ich finde auch, sie hat schon eine tolle Stimme. Erinnert mich an Mariah Carey.

Blohm: An wen, bitte? Ich meine, sie könnte ruhig einmal eine dieser Soul-Koloraturen auslassen. Es wirkt so überladen. Als hätte sie etwas zu beweisen.

Voss: Hat sie das nicht? Dass sie eben keine Schlagersängerin ist, sondern eine vielseitige Interpretin?

Blohm: Deswegen fehlt wohl auch kein Element dessen, was nach offizieller Lesart ein Pop-Konzert ausmacht, was es fast schon wie einen unfreiwilligen Kommentar darauf wirken lässt, weil es eben verglichen mit den Vorbildern dann doch nicht bis ins Letzte professionell ist: Die Lichtschau, die Animation zum Mitsingen, die Mischung aus Balladen von Simon & Garfunkel und bewegteren Stücken zwischen „Respect“ und „Blue Suede Shoes“, die Corinna May extra noch einmal mit den Worten ankündigt: „Wir machen heute ein musikalisches Kontrastprogramm. Habt ihr das schon bemerkt?“

Voss: Viele dürften diese feinen Unterschiede hier kaum bemerken. Die meisten sind bestimmt vor zwanzig Jahren zum letzten Mal auf einem Pop-Konzert gewesen.

Blohm: Wenn überhaupt. Ich möchte nicht darüber spekulieren, aus welchen Gründen sie jetzt hier sind. Einfach so ins Waldau-Theater auf ein Konzert zu gehen, ist schließlich nicht gerade alter hansestädtischer Brauch. Übrigens mag ich es überhaupt nicht, zum Absingen religiöser Lieder angehalten zu werden. Ich würde lieber gehen, es ist ohnehin gleich vorbei.

(Sie verlassen das Waldau-Theater)

Voss (sinnierend): Die Stimme, die Frau ...“

Blohm: Das Auto!

Voss: Welches Auto?

Blohm: Na genau das, auf dem steht: „Die Stimme. Die Frau. Das Auto.“

Voss: Ein Daewoo ...

Blohm: Sind die nicht gerade pleite gegangen?

Voss: Eine tragische Geschichte, das.

Blohm: Womöglich haben Sie mal wieder Recht.

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