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Polyzyklischer Cocktail

■ Auf einer Bahndeponie in Ganderkesee sollen 15.000 Kubikmeter hochbelastete und umweltgefährliche Schotterabfälle liegen / Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Unternehmer / Langwieriges Gezerre um Gutachten

Auf der Bahndeponie in Ganderkesee-Bookholzberg sind Experten-Gutachten zufolge 15.000 Kubikmeter hochbelastete Schotterabfälle eingelagert worden. Die Ganderkeseer Ratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat Strafantrag gegen den Bookholzberger Unternehmer Peter Böhling gestellt, der bis zum Herbst 2000 eine Schotteraufbearbeitungsanlage auf der Deponie betrieb und für die nicht genehmigten Einlagerungen verantwortlich sein soll. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt. Laut Gutachten enthält der Schotter rund 850 Kilogramm an Polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK), sowie Schwermetalle, Herbizide und weitere giftige Substanzen. Böhling war zu keiner Stellungnahme bereit.

Die Angaben über die Einlagerungen entstammen einem Gutachten, das das Institut Geodata aus Garbsen bei Hannover 1999 im Auftrag der Deutschen Bahn AG erstellt hatte und das kürzlich im Umweltausschuss des Gemeinderats vorgestellt wurde. Es war dem von der Gemeinde beauftragten Leiter des Instituts für Toxikologie an der Uniklinik Kiel, Dr. Hermann Kruse, erst nach monatelanger Auseinandersetzung von der Bahn AG zur Beurteilung überlassen worden. In seiner Stellungnahme geht Kruse von einer Gefahr durch die Umwelt aus, da die Schotterabfälle nur ungenügend abgedeckt und somit leicht in alle Richtungen verweht werden könnten. Auf die Schottereinlagerungen geht aber nur ein Teil der Schadstoffbelastungen des rund 30 Hektar großen Deponiegeländes zurück. „Die haben jetzt auf die Schweinerei noch eins draufgesetzt“, sagt Kruse. Seit den 40er Jahren waren dort nämlich nach Zeugenaussagen außer Bahnschwellen und -schotter auch Munitionsreste, Hausmüll und andere Abfälle abgekippt worden.

1990 musste die Bahn ihre Deponie offiziell schließen, nachdem ein erstes Gutachten eine Belastung des Grundwassers insbesondere mit Arsen, PAK (???) und Pflanzenschutzmitteln festgestellt hatte. Die von den damaligen Gutachtern empfohlene Abdeckplane, die ein Auswaschen der Schadstoffe durch das Versickern von Regenwasser verhindern sollte, wurde nie verlegt. Seitdem bemühen sich die örtlichen Grünen – und auf deren Druck hin zuletzt auch die Gemeinde – um die Herausgabe der Ergebnisse der in der Folgezeit durchgeführten Schadstoffmessungen. Die sollen der Bezirksregierung Weser-Ems in Oldenburg den Angaben von Bahnsprecher Hans-Joachim Frohns zufolge inzwischen vorliegen und der Gemeinde mitgeteilt worden sein.

Dem Kieler Gutachter hatten die Ergebnisse der zwischenzeitlichen Untersuchungen dennoch nicht zur Beurteilung vorgelegen. Seine Angaben, gab Kruse zu bedenken, beruhten deshalb auf zum Teil unvollständige Unterlagen. Die ausgewerteten Untersuchungen von 1990 und 1999 würden jedoch eindeutig belegen, dass die Konzentration von Arsen und PAK im abströmenden Grundwasser in diesem Zeitraum erheblich zugenommen habe. So lagen die Werte für Arsen 1999 an den meisten Messpunkten um das fünf- bis 15-Fache über dem Grenzwert der Trinkwasserverordnung. Dies gelte selbst noch für 280 Meter vom Deponiekern entfernte Messpunkte.

Im Gegensatz zu den Geodata-Gutachtern, die von einem erheblichen Rückgang der Fremdstoffbelastungen sprechen, geht Kruse davon aus, dass sich die Arsen- und PAK-Rückstände bereits weit nach Norden und damit in Richtung eines Bookholzberger Wohngebietes ausgebreitet haben. Dort wurde das Grundwasser nur noch nicht untersucht.

Dennoch geht von dem Arsen und den PAK im Grundwasser Kruse zu Folge keine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung aus. Die Nutzung der Hausbrunnen im Abstrombereich müsste jedoch weiterhin ausgeschlossen bleiben. Außerdem warnte der Kieler Toxikologe vor „unkalkulierbaren Gefahren“ durch eine Bebauung der Deponieflächen, wie sie die Gemeinde seit langem plant. Dann könnte sich

nämlich Deponiegas, in erster Linie Methan, unter den Häusern ansammeln und zu Erdeinbrüchen führen oder in die Innnenräume eindringen.

Der Umweltausschuss reagierte auf die neuen Erkenntnisse zurückhaltend. Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre sah man kaum Chancen, geeignete Maßnahmen durchzusetzen, um ein weiteres Ausströmen der Giftstoffe zu vermeiden. Ein Versuch, eine offizielle Beschlussempfehlung an den Rat zu formulieren, wurde nicht einmal unternommen.

Grünen-Ratsherr Manfred Rosenberger glaubt zu wissen warum: Die Gemeinde wolle die Verhandlungen mit der Bahn um den Ankauf eines als Festplatz genutzten Bahngrundstücks im Zentrum nicht gefährden, sagte Rosenberger. „Das geht ohne Rücksicht auf Verluste.“

Georg Jauken/ Fotos: Claudia Hoppens

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