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Auf Schleichwegen Freunde werden

Dokumentarist des deutschen Nachkriegsalltags: Das Willy-Brandt-Haus zeigt Arbeiten des amerikanischen Fotografen Tony Vaccaro

von MATTHIAS ECHTERHAGEN

Eine Frankfurter Straßenszene, fotografiert im Spätsommer 1948: Ein Kleinwarenhändler hat einen neuen Stand aufgemacht. Zwischen den Pfeilern eines zerstörten Hauses bietet er Messingeimer, Besen, Kleiderbügel und Pfannen feil. In Grüppchen penibel angeordnet, bilden die Gebrauchsgegenstände einen scharfen Kontrast zu der ausgebombten Straßenkulisse. Der Kleinwarenhändler weicht dem Blick des Fotografen aus, hält den Kopf leicht nach unten. Seine Augen aber schauen in die Kamera.

Immerzu präsent auf diesem Foto ist der Ort der Kamera: Man fragt sich, was der Mann hinter seinem improvisierten Ladentisch im Moment der Aufnahme wohl denkt, denn seine zurückhaltende, fast noble Pose, sein Lächeln im Gesicht können ablehnende Skepsis und höfliche Zuvorkommenheit gleichermaßen bedeuten.

Tony Vaccaro, amerikanischer Soldat und Fotograf, hat während der Nachkriegsjahre in Deutschland einige Fotos geschossen, deren untergründiges Thema das Verhältnis zwischen Fotograf und Fotografierten ist. So auch das Foto, das einen deutschen Gärtner bei der Bewässerung eines Gartens zeigt. Von der Seite aufgenommen, dreht der Mann mit dem Bewässerungsschlauch in der Hand seinen Kopf frontal der Kamera zu. Aus seinen Augen spricht unverhohlener Hass. „Wenn dieser Mann seinen Augen Kugeln hätte entsenden können“, kommentiert Vaccaro heute das Foto, „wäre ich von ihnen durchsiebt worden.“

Vaccaro hat den Nachkriegsalltag in Deutschland in mehr als zehntausend Bildern dokumentiert. Eine Auswahl daraus bietet nun der Fotoband „Entering Germany“. Das Thema dieses Buches sei, so Vaccaro, die Umwandlung der Feindschaft zwischen den Amerikanern und den Deutschen „in eine wundervolle Freundschaft“.

Im August 1942, als sich der 20-jährige Vaccaro in einem Laden in Manhattan seine erste Kamera kaufte, war davon noch überhaupt keine Rede. Auf seiner Highschool hatte sich Vaccaro mit den Grundlagen der Fotografie vertraut gemacht, und von seiner zukünftigen Kamera besaß er schon eine genaue Vorstellung. Man müsse sich mit ihr heranschleichen können, sagte Vaccaro dem Verkäufer, um die Menschen unbemerkt abzulichten.

Mit einer kleinen, handlichen 35-mm-Kamera, einer Argus C-3, kam der Verkäufer aus dem Lager zurück. Zwei Jahre später wurde Vaccaro von der amerikanischen Armee eingezogen und nahm an der Landung der Alliierten in der Normandie teil. Die Kamera nahm er mit. Mit ihr machte er Bilder vom Krieg.

Nach Kriegsende blieb Vaccaro in Deutschland und arbeitete als Dokumentarfotograf für die US-Armeezeitung Stars and Stripes. Auf seinen fotografischen Streifzügen durch den deutschen Nachkriegsalltag fehlte ihm nicht ein gewisser Sinn für Humor: So hat er 1945 auf einer Landstraße bei München Kamele eines in der Nähe gastierenden Zirkus abgelichtet und das Foto „Deutschlands beste Zugpferde“ genannt. Andere Fotos zeigen den ganz gewöhnlichen Besatzungsalltag zwischen Amerikanern und Deutschen: eine deutsche Frau, die von amerikanischen Soldaten umringt ist und blow jobs verrichtet, „for one cigarette“, wie der Bildtitel mitteilt, einen Pulk junger Menschen vor einem Coca-Cola-Wagen, mit deutschen Mädchen flirtende GIs, deutsche Mädchen in einer Schulklasse usw. Einige Fotografien hingegen fallen aus dem Rahmen des Buches. Gläserne Schlieren und dicke, schwarze Punkte überziehen sie, ordnen sich punktuell zu filigranen Netzen an und verenden plötzlich wieder. Darunter liegt mal ein Soldat in Schießposition, mal stehen GIs an einer Straße herum. Hat Vaccaro hier sein an die sozialkritische Tradition in Amerika geschultes Ethos abgeschüttelt und sich in avantgardistischer Verfremdung versucht? Es war der Regen, der 1947 gleich literweise in den Keller Vaccaros eindrang und sein Fotolabor überschwemmte. Tausende Negative wurden zerstört, doch auf einigen hinterließ die zerlaufende Silbergelatine auf den Filmstreifen einen interessanten Effekt.

„Je mehr die Gespenster des Nationalsozialismus aus den Köpfen verschwanden, desto deutlicher zeigte sich eine Affinität zwischen Deutschen und Amerikanern“, schrieb Vaccaro begleitend in seinen Fotoband, und beim Durchblättern desselben dominieren zum Ende hin Fotos, aus denen der Schrecken des Dritten Reiches ausgetrieben zu sein scheint. Ein Junge macht in einem Handwagen ein Nickerchen, ein Musiker genehmigt sich einen Schluck Bier, und in einem Striptease-Club ist allgemeiner Frohsinn angesagt.

Die neue Freundschaft zwischen Deutschen und Amerikanern im Kalten Krieg dokumentiert auch das letzte Foto des Bandes. Es ist aus dem Jahr 1948 und zeigt lachende Kinder mit einem GI an der Spitze. Im Hintergrund sieht man den Flughafen Tempelhof, jenen zum Zeitpunkt der Aufnahme erst zehn Jahre alten Nazi-Bau.

Tony Vaccaro: Entering Germany. 1944-1949. Taschen Verlag. 192 S. 39,95 DM; Ausstellung ab heute bis 29. April, Di. – So. 12 – 18 Uhr, Fr. 12 – 20 Uhr, Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße

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