Filmstarts á la carte
: Mythische Freundschaften

■ „Man muss sich entscheiden. Sterben ... oder lügen“, hat Jean-Pierre Melville seinem Film als Motto vorangestellt. In „Le Doulos“ (“Der Teufel mit der weißen Weste“, 1962) verhält es sich dann so, dass die Protagonisten erst lügen und dann sterben; Überlebende werden am Ende eher rar sein. „Le Doulos“ ist nicht Melvilles erster Ausflug ins Milieu der Unterwelt, bildet jedoch den Auftakt zu einer Reihe von Werken, die anhand stilisierter Geschichten mit mythisch überhöhten Gangsterfiguren von der existenziellen Einsamkeit des Menschen, der Auflösung moralischer Grundfesten und der daraus resultierenden Austauschbarkeit von Polizisten und Verbrechern erzählen. In Melvilles Figuren zählen vor allem Loyalität und Freundschaft, doch immer wieder erzählen die Filme von deren Unmöglichkeit und Scheitern. „Silien ist mein Freund“, lautet denn auch der Satz, den Maurice (Serge Reggiani) zu Beginn von „Le Doulos“ wohl am häufigsten wiederholt. Doch Silien (Jean-Paul Belmondo) bleibt lange Zeit so undurchsichtig, wie er bei seinem ersten Auftritt - als Silhouette im Gegenlicht - erscheint. Niemand weiß, wie und womit er sein Geld verdient, obgleich er sich in allen kriminellen Branchen gut auszukennen scheint. Und dann hat er auch noch einen Polizeiinspektor zum Freund: Silien könnte sehr wohl ein Spitzel sein. Das glaubt schließlich auch Maurice, nachdem er bei einem Einbruch von der Polizei überrascht wurde, und jagt dem Freund einen Killer hinterher. Am Ende klärt sich der vermeintliche Verrat, doch für Silien und Maurice ist es bereits zu spät: Die Freundschaft, respektive Maurices Zweifel daran, wird sie das Leben kosten.

„Le Doulos“ (OF) 16. 4. im Arsenal

■ Von Freundschaft und Verrat - und von der großen Liebe - handelt auch „Casque d´Or“ (“Goldhelm“, 1951) des französischen Regisseurs Jacques Becker. Erneut tritt Serge Reggiani auf den Plan: Er verkörpert den Tischler Manda, der sich im Paris der Belle Epoque in die schöne Prostituierte Marie (Simone Signoret) verliebt - sehr zum Unwillen ihres Zuhälters. Ein Totschlag wird Manda schließlich ins Unglück stürzen. Jacques Bekkers Figuren definieren sich vor allem über präzise Gesten und Blicke: Wenn sich Marie und Manda in einem Ausflugslokal zum ersten Mal sehen, tanzt sie mit ihrem Zuhälter, lässt jedoch bei keiner ihrer Drehungen Manda aus den Augen, der seinerseits die Blicke nicht von ihr wenden kann. Geradlinigkeit war Beckers Sache nicht, vielmehr ist sein Stil geprägt von einer oftmals elliptischen Erzählweise, von Abschweifungen und dem Verharren bei den scheinbar unwichtigen Dingen, die die Personen und das Milieu jedoch umso wirkungsvoller charakterisieren.

„Casque d´Or“ (“Goldhelm“) 15. 4. im Arsenal

■ Ein Mann auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Auch in seinem zweiten Spielfilm „Letztes Jahr in Marienbad“ gab Alain Resnais das Raum-Zeit-Kontinuum auf, um in ein fantastisches Geflecht aus Imaginationen, Träumen, Erinnerungen und Obsessionen einzutauchen. Angelehnt an den Nouveau Roman entwarf Drehbuchautor Alain Robbe-Grillet in seinem typischen Stil die „Geschichte“ eines Mannes, der eine Frau davon zu überzeugen sucht, dass sie sich bereits im vorigen Jahr in einem jener mondänen Schlosshotels kennen gelernt haben, auf deren mit dem „Zierrat einer anderen Zeit“ überbordenden Flure Resnais Kamera so beständig entlanggleitet.

„Letztes Jahr in Marienbad“ 14./15. 4. im Klick

Lars Penning