: „Die richtige Entscheidung“
Der Pole Leszek Krowicki ist der neue Bundestrainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft der Frauen und soll diese zur WM führen. Das Problem: Ihm bleiben dafür nur zwei Monate Zeit
Interview FRANK KETTERER
taz: Hallo, Herr Krowicki, sind Sie sehr müde?
Leszek Krowicki: Müde? Warum sollte ich müde sein?
Weil die Deutsche Presse Agentur gerade festgestellt hat, Ihre Mannschaft bereite Ihnen schlaflose Nächte.
Davon weiß ich gar nichts. Vielleicht meinen die die Tatsache, dass ich immer noch arbeite, wenn meine Spielerinnen längst schon im Bett liegen und schlafen. Als Trainer beschäftigt man sich eben immer mit Handball, mit taktischen Dingen oder mit dem Training. Dass ich deswegen aber nicht schlafen kann, stimmt auf keinen Fall, ganz im Gegenteil: Die Arbeit als Bundestrainer macht mir sehr viel Spaß.
Ihr Vorgänger Dago Leukefeld ist Ende März ziemlich überraschend zurückgetreten. Sie scheinen eher zufällig zu dem Amt gekommen zu sein.
Stimmt, es war wirklich Zufall. Besonders überraschend für mich und meine Trainerkollegen Jürgen Gerlach und Maik Nowak war, dass wir plötzlich als Kandidaten für das Bundestraineramt dastanden. Ein paar Tage später haben wir uns dann in Hannover getroffen und dort jene Lösung gefunden, die wir heute haben.
Vor seinem Rücktritt stellte Ihr Vorgänger noch fest, dass der deutsche Frauenhandball am Abgrund stehe. Teilen Sie seine Ansicht?
Das muss man von verschiedenen Seiten sehen: Wenn man die heutige Situation mit den Jahren 1993 und 94 vergleicht, muss man schon feststellen, dass die derzeitige Lage nicht so rosig ist wie damals, als die deutsche Nationalmannschaft Weltmeister war und die Bundesligateams eine bedeutende Rolle im Europapokal spielten. Aber ich denke, dass die Bundesliga nach wie vor eine starke Liga ist und dass es in Deutschland nach wie vor sehr viele Spielerinnen gibt, die gut spielen können. Mit denen kann man bestimmt eine starke Nationalmannschaft aufbauen.
Die europäische Rangliste sagt anderes aus. Da rangieren die deutschen Handballerinnen mittlerweile auf dem letzten Platz.
Na ja, auf diese Rangliste haben die zuletzt wenig berauschenden Ergebnisse bei EM und WM natürlich einen gewissen Einfluss ausgeübt. Das hat auch damit zu tun, dass die Handball-Nationen im Osten nun zeigen, dass sie ihre Führungsposition nur ungern abgegeben haben – und sie sie sich nun wieder zurückerobern. Es gab zwischenzeitlich sicher eine Phase, wo der Osten nicht so stark war, was auch mit politischen Dingen zu tun hatte. Heute aber ist Handball in Polen, Ungarn oder der Ukraine wieder sehr populär. Und es ist wieder Geld vorhanden, das es den Spielerinnen ermöglicht, als Profis zu leben und zu trainieren. Das wirkt sich natürlich auch auf die Nationalmannschaften aus. Vielleicht müssen wir jetzt wieder Richtung Osten schauen und von dort die ein oder andere Sache übernehmen.
Leukefeld hat zudem angemahnt, der deutsche Frauen-Handball sei zu sehr in der Breite ausgebildet, dafür aber fehle es in der Spitze. In diesem Sommer nun wird die Frauen-Bundesliga auch noch von 12 auf 14 Mannschaften aufgestockt. Macht das Sinn?
Darüber wurde schon so viel diskutiert, damit möchte ich jetzt nicht wieder anfangen. Es gibt wohl Argumente dafür und Argumente dagegen. Was ich mir als derzeitiger Bundestrainer, aber auch als Klubtrainer wünsche, ist, dass jene Mannschaften, die oben stehen, öfter gegeneinander spielen. Ein Playoff-System wäre da zum Beispiel denkbar oder auch irgendeine andere Wettbewerbsform, die Spitzenmannschaften wie Lützellinden, Leipzig, Buxtehude oder Leverkusen drei, vier Mal pro Saison aufeinandertreffen lässt. Bei solchen Spielen sind die Hallen voll, das sind echte Magneten für die Zuschauer und Sponsoren. Und die Spielerinnen würden sich gegenseitig zu besseren Leistungen anstacheln.
Woran krankt es im deutschen Frauen-Handball?
Ich würde nicht gleich sagen, dass der deutsche Handball krank ist. Wir müssen nur sehen, wie wir die momentanen Defizite im Vergleich zu den Ostländern ausgleichen können. Im Osten trainieren die Spielerinnen täglich und unter profesionellen Bedingungen. Unsere Spielerinnen aber haben einen normalen Job oder studieren – und Handball steht somit nicht an erster Stelle, sondern an zweiter oder gar dritter. Frauenhandball hat hier einfach nicht diesen Stellenwert wie in Polen, Rumänien oder Ungarn.
Also ist es ein Strukturproblem?
Wir müssen überlegen, wie wir die wenigeren Trainingseinheiten durch effektivere Trainingsarbeit kompensieren können. Da müssen wir einfach neue Erfahrungen sammeln. Vor vielen Jahren, als ich selbst noch Handball gespielt habe, war die Situation ganz ähnlich: Da waren die Ostländer im Handball auch überall vorne. Und doch ist es Nationen wie Dänemark, Norwegen oder Deutschland gelungen, sich weiterzuentwickeln und aufzuschließen. Solche Phasen gibt es immer wieder, und ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Situation auch für die deutschen Handballerinnen bald ändern wird und sie dann wieder zur europäischen Spitze zählen.
Sie sehen sich lediglich als Übergangslösung und wollen das Amt bereits Ende Mai, nach den WM-Qualifikationsspielen gegen Schweden, schon wieder zu Verfügung stellen. Was können Sie in dieser kurzen Zeit bewegen?
Ich hoffe viel, sonst hätte ich das Amt nicht übernommen. Dass die Zeit dabei nicht unbedingt für mich spielt, ist aber auch klar.
Geht’s ein bisschen konkreter?
Ich versuche einige taktische Elemente reinzubringen, die wichtig für jede Mannschaft sind: Wir lernen, wie wir uns zu benehmen haben, wenn wir gegen die ein oder andere Abwehrformation spielen, und mit welchem Konzept wir angreifen wollen. Das üben wir derzeit, sowohl individuell als auch als Mannschaft. Ich nenne das immer taktisches Gesicht; ein solches gilt es der Mannschaft nun zu verpassen.
Ihnen zur Seite hat man Ihre Klub-Trainerkollegen Jürgen Gerlach vom TV Lützellinden und Maik Nowak vom HC Leipzig gestellt. Nimmt die Bundesliga das Schicksal der Nationalmannschaft nun selbst in die Hand?
Man hatte ja gar keine Zeit, sich auf eine längere Suche einzulassen, um einen Nachfolger für Dago Leukefeld zu finden. Wir haben nach nur neun Tagen eine Entscheidung getroffen – und wir haben vor allem die richtige Entscheidung getroffen. Nicht weil ich jetzt die Mannschaft trainiere, sondern weil man einen Trainer aus der Bundesliga dafür genommen hat, der die deutschen Spielerinnen kennt und weiß, was los ist. Kurzfristig war das die beste Lösung. Was danach kommt, muss man sehen.
Könnte der Bundestrainer auch weiterhin Krowicki heißen?
Mein Vertrag mit Buxtehude läuft bis 2003. Ich habe dort einen Verein gefunden, in dem man sehr profesionell arbeitet, in dem man sehr gesund denkt und in dem die Stimmung gut ist. Ich bin in Buxtehude sehr zufrieden, und wir haben ja auch sportlich noch einiges vor. Aber natürlich macht man sich auch seine Gedanken, so in der Art: Was machst du eigentlich, wenn es mit der WM-Qualifikation klappt und die Nationalmannschaft sich gut entwickelt, wovon ich ausgehe?
Und: Was machen Sie dann?
Darüber reden wir, wenn es so weit ist.
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