Unheimliche Aufrüstung

Deutsche Atomkraftwerke beantragten unbemerkt von der Öffentlichkeit eine Leistungssteigerung. Experten sind überrascht, selbst das Umweltministerium war nur halb informiert

aus München KLAUS WITTMANN

Alle reden vom Atomausstieg und den dadurch erforderlichen Castor-Transporten. Doch tatsächlich soll in den nächsten Monaten und Jahren die Leistung der deutschen Atomkraftwerke ausgebaut werden. Nicht nur das Atomkraftwerk Gundremmingen soll künftig „heißer“ gefahren werden, sondern auch alle anderen bayerischen Atommeiler. Doch der als besonders atomfreundlich geltende Freistaat im Süden ist diesmal nicht alleiniger Vorreiter. Auch in anderen Bundesländern sollen Kraftwerksleistungen kräftig aufgestockt werden. Dass im größten deutschen Atomkraftwerk im schwäbischen Gundremmingen die Reaktorleistung um sieben Prozent hochgefahren werden soll, ist kein Geheimnis. Doch dass auch die Atommeiler Isar I und Grafenrheinfeld ihre Leistung um fünf Prozent steigern wollen, war bislang nicht bekannt. Der Sprecher des bayerischen Umweltministeriums, Robert Schneider, bestätigte eine entsprechende Anfrage. „Leistungssteigerungen sind in Bayern in Gundremmingen, Grafenrheinfeld und Isar I beantragt.“

Auch andere Kraftwerke wie Neckarwestheim, Philippsburg, Grohnde und Unterweser hätten ähnliche Anträge gestellt. Diese Planungen kamen freilich selbst für viele Insider überraschend – etwa für Christian Küppers vom Darmstädter Ökoinstitut. Der Atomexperte hat eine plausible Erklärung, warum trotz festgelegter Reststrommengen im Ausstiegsszenario für jedes Atomkraftwerk die Leistungssteigerung einen Sinn mache. „Auch wenn man Restlaufzeiten vereinbart hat, ist es bei einer Leistungserhöhung so, dass man in einer kürzeren Zeit eine höhere Strommenge produziert.“ Wirtschaftlich rechne sich das: Alleine im Fall von Gundremmingen könnte jährlich für rund 120 Millionen Mark mehr Strom produziert werden. Werkssprecher Manfried Lasch bezifferte die Investitionen auf etwa 40 Millionen Mark. Auch im Bundesumweltministerium (BMU) wusste man nichts von den Plänen. Sprecher Michael Schroeren sagte, er wisse bislang nur von den drei bayerischen Standorten und vom Kraftwerk Unterweser.

Christian Küppers vom Ökoinstitut, der auch Mitglied der Strahlenschutzkommisson der Bundesregierung ist, sieht das geplante Hochfahren der Reaktoren – anders als die Antragsteller – nicht als Routinevorgang. „Jede Leistungserhöhung, die auch tatsächlich mit einer Erhöhung der thermischen Leistung verbunden ist, also mit mehr Kernspaltung pro Reaktor, erhöht auch das Risiko.“ Höhere Materialbelastung sei die unausweichliche Folge. Ähnliche Bedenken äußert die Abgeordnete Ruth Paulig, energiepolitische Sprecherin der bayerischen Landtagsgrünen, die von den weit reichenden Anträgen und Planungen ebenfalls nichts wusste. „Ich finde es eine ungeheuere Provokation angesichts des Konsenses. Wenn ich nur an die Leistungserhöhung bei Isar I in Ohu denke, diesem alten Siedewasserreaktor, kann ich mir nicht vorstellen, dass Sicherheitsgutachten so etwas gutheißen können.“ Ein Hochfahren würde mehr radioaktiven Abfall verursachen und vor allem auch zu Materialschwächen führen. Der Eon-Konzern, einer der Hauptantragsteller, ließ auf Anfrage mitteilen, die Planungen seien reine Routine. Man werde nächste Woche, wenn die Pressesprecherin aus dem Urlaub zurück sei, gegebenenfalls eine Erklärung abgeben. In Berlin sieht man, was die Sicherheit angeht, keine Gefahr: „Als Bundesaufsichtsbehörde hat das BMU sich grundsätzlich einen Zustimmungsvorbehalt ausbedungen. Das heißt, keine der Leistungssteigerungen wird genehmigt, bevor sie nicht geprüft worden ist“, sagte Schroeren der taz.

Die Leistungserhöhung würde in der Logik des Atomkonsenses dazu führen, dass die Werke schneller vom Netz genommen werden. Für die Betreiber wäre dies durchaus vertretbar. Schließlich steigen mit fortschreitender Nutzungsdauer auch die Wartungskosten. In kürzerer Zeit eine höhere Menge Strom zu produzieren ist schlicht und einfach wirtschaftlicher.