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Pantomime mit Marx

■ Superaufregend ist Vogelers Leben zwischen Liebesmystik und Kommunismus – im Jg. Theater

Heinrich Vogeler war der Spannendste der Worpswede-Belegschaft – mit Riesenabstand der spannendste. Er designte eben nicht nur die ekelprotzige Güldenkammer im Rathaus und verzierte eben nicht nur viele Bucheinschläge mit farnartigen Girlanden, sondern er gab SEINEN Barkenhof trotz eigener Bitterarmut frei als Erholungsheim für Arbeiterkinder. Wer heute das Modersohn-Haus in der Tourismus-Böttcherstraße besucht, dem wird in staatstragender Absicht verschwiegen, dass der Barkenhof mal eine DER Pilgerstätte deutscher Kommunisten war.

Dass Vogelers Leben zwischen putzigem Jugendstilschnörksel und einem – das Leben kostenden – politischen Engagement unbedingt auf die Bühne gehört, erkannte als erster Oliver Peuker, Ex-Junges-Theater-Mitglied und nun One-Man-Show unter dem lustig-arrogantem Namen „Cosmos Factory“.

Bestätigt wurde Peukers Instinkt durch Klaus Pierwoß, der prompt ein Vogeler-Stück für das Bremer Staatstheater in Auftrag gab, vorerst noch ohne Erfolg: die Premiere wurde verschoben ins Nirwana-Irgendwann. Wunderschön deshalb, dass Peukers vor einem Jahr uraufgeführte Vogeler-Rilke-Achmatowa-O-Ton-Collage jetzt im Jungen Theater zu sehen ist.

Die zusammen mit Ute Falkenstein komponierte Vogeler-Biografie über einen beneidenswert-mutig-verzweifelten Menschen, der trotz bekanntermaßen stalinistischem Terror nach Russland emigrierte, ist ganz wunderbar. Schade, dass die von just den selben zwei Personen verantwortete Regie alles zerstört. Die Inszenierung ist Neue Mitte. Sie ist angekommen in unserer Joschka-Fischer-Demokratie. Mit seinem ewigen Grimmassieren und wüstem, outrierten Gestikulieren macht Peuker von der ersten Minute an klar: Wer an eine Utopie glaubte, wer gar so blöd war, Hoffnungen in den Kommunismus zu setzen, der war/ist/wird-immer-sein eine lächerliche Clownsfigur. Nur gut, dass Voge-lers Sprache dieser blödsinnigen Demontage jedweden Veränderungswillens absolut stand hält: Die durchaus problematischen Sätze sind einfach viel stärker als Peukers Rumgezicke: von wegen alle Träumer seien Vollidioten.

Natürlich war Vogeler ein bekennender Hyperromantiker: „Nirgendwo war der Mond größer als in Worpswede.“ Natürlich übertrug er einen kitschigen Liebesabsolutismus auf die Politik und landete so bei einem ebenso kitschigen Erlösungsglauben. Aber er wusste dies offenbar und kritisierte sich selbst dafür, seine Martha „zu belasten mit allen märchenhaften Ideen vergangener Zeiten.“

Aber eigentlich geht es gar nicht um ein politisches Missverständnis. Es geht um ein Missverständnis über schauspielerische Qualitäten. Nachdem Leute wie Nickolson/de Niro/Carrey landauf/landab gegeißelt wurden für ihr permanentes „Ich-bin-Schauspieler-also-schau-spielere-ich“-Getue will ausgerechnet ein Oli Peuker – und an einen de Niro reicht er nicht in kühnsten Träumen heran – permanent beweisen: Ich bin Vollblutschauspieler, dem zu jedem Satz eine aus-ufernde Kauer-Kriech-Fuchtel-Ham-pel-Bewegung einfällt. Sollte er vielleicht eher Pantomime auf Kindergeburtstagen werden? Egal. Stück, reduziertes Bühnenbild, super Musik, die Person Vogeler: alles toll. Also doch: unbedingt hingehen. bk

16., 18.-21.April im Güterbahnhof 20.30h

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