Der diskrete Charme von Berlin

Ohne Effekthascherei: Fritz Eschen hat Berlin von den Anfängen der Nazizeit bis in die kargen Nachkriegswinter dokumentiert, die Fotografien von Klaus Eschen zeigen die „Normalität des Unnormalen“ nach dem Mauerbau. Das Willy-Brandt-Haus stellt Vater und Sohn erstmals gemeinsam aus

von MICHAEL NUNGESSER

In einer Rolleiflex-Reklame der frühen Dreißigerjahre steht unter dem Foto des Malers Max Liebermann, aufgenommen von Fritz Eschen: „Die Photos sind ausgezeichnet, und ich wüßte nichts daran auszusetzen.“ Dreißig Jahre später führt Sohn Klaus seinen Vater in einer kleinen Fotosequenz als nachdenklichen, listigen Ironiker vor. Die Aufnahmen bilden den Beginn einer Doppelausstellung, die sich den „Kamera-Geschichten (1930-1950)“ von Fritz Eschen und den „Berlin-Fotografien (1960-1970)“ von Klaus Eschen widmet. Beide sind einfühlsame Bilddokumentaristen des Alltags, jeder auf seine, auch generationsbedingte Art. Dass der Sohn Eschen eher durch seinen Hauptberuf als Rechtsanwalt bekannt ist, steht auf einem anderen Blatt.

Fritz Eschen wurde 1900 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren. Er begann ab 1928 für verschiedene Fotoagenturen und Presseorgane zu arbeiten. Dank Associated Press und anderer Auftraggeber konnte er dem Berufsverbot der Nazis eine Zeit lang trotzen, wurde zuletzt aber zu Zwangsarbeit eingezogen. Nach der Befreiung war er bis zu seinem Tod 1964 wieder als Bildreporter tätig. Eschen war fasziniert von modernen Verkehrsmitteln wie Eisenbahn, Flugzeug, Auto und Omnibus, fotografierte aber auch „Vorstadt-Zirkus“, „Mädchen lernen segeln“ und „Morgenarbeit bei Charlie Mills“, dem bekannten Trainer der Trabrennbahn Mariendorf. Nach dem Krieg zeigt er das Leben in der Charité, Tabakläden und Grundschulunterricht in Wilmersdorf.

Die Fotos des 1939 geborenen Klaus Eschen aus den Sechzigerjahren (1969 war er Jurastudent und Mitbegründer des Sozialistischen Anwaltskollektivs) konzentrieren sich auf das eingemauerte West-Berlin. Sie führen in prägnanten Einzelbildern vom Brandenburger Tor über die Reste des Anhalter Bahnhofs zur aufblühenden nächtlich illuminierten City um die Gedächtniskirche, zurück zu Checkpoint Charlie und Bernauer Straße, über den Wochenmarkt am Rathaus Schöneberg und das Deutsch-Amerikanische Volksfest zur ruinenumstellten Nationalgalerie. Am Ende kündigt sich die politische Jugendrevolte an, widergespiegelt in der „Studententapete“ des Aktionskünstlers Wolf Vostell.

Parallel zu den Ausstellungen sind zwei Publikationen erschienen. Die Monografie über Fritz Eschen entspricht bis auf einige Bildabdrucke aus der zeitgenössischen Presse weitgehend der Ausstellung. Dazu gehören Porträts der Pilotin Elly Beinhorn auf den Titelseiten von Neue Jugend, Unsere Illustrierte, Funk-Woche und Die Welt – der besseren Wirkung wegen häufig seitenverkehrt. Das Buch ermöglicht vor allem ein genaues Studium der zeittypischen, von jeder Effekthascherei absehenden Bildergeschichten. Der Fotohistoriker Janos Frecot informiert über die Hintergründe und erklärt das besondere Vermögen des Fotografen, die Welt „nachdrücklich-forschend, aber nicht indiskret“ festzuhalten.

Das Buch über Klaus Eschen mit über hundert Aufnahmen ist weiter gespannt als die Ausstellung, dafür aber ohne biografische und Werknotizen. Es führt, wie Egon Bahr im Vorwort schreibt, „jene Phase des Übergangs zur Normalität des Unnormalen“ vor, als Berlin Schauplatz der Weltgeschichte war: ein melancholischer Schauplatz mit kriegsbedingten Brachen und stacheldrahtbewehrten Grenzwällen, zwischen Mauerschmerz und Aufbruchgeist. Einsam sitzen Alte auf Bautrümmern oder am trägen Kanalwasser. Am Ku’damm herrscht Leben, in Tempelhofs Einflugschneise brüllen die Motoren. Eschen hat das Schizophrene der Zeit eingefangen, das Eingeschnürte und die künstliche Idylle, aber auch den Ausbruch aus dem verordneten Stillstand und die ersten Ansätze einer Geschichtsaufarbeitung.

bis 22.4., Di bis So 12-18, Fr 12-20 Uhr, Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28.Janos Frecot, „KameraGeschichten. Fritz Eschen 1930-1950“. E. Wasmuth Verlag, Tübingen/Berlin, 47,80 DM„Klaus Eschen, Berlin Fotografien/ Images 1960-1970“. Herausgegeben von Christiane Landgrebe, Jovis Verlag, Berlin, 39,80 DM.