www.grau(envoll).de

Die am häufigsten angeklickte Tageszeitung, die „Süddeutsche“, steht bei ihrem neuen Online-Auftritt auf ermüdendes Grau. Aber inhaltlich wird’s dafür recht bunt, wenn nicht sogar mundartlich

von JUTTA HEESS

Netz-Wanderer, kommst du nach www.sueddeutsche.de, so wird es grau vor deinen Augen. Denn der Internetauftritt der Münchner Zeitung sieht nach dem Redesign ziemlich trist aus. Grau eben. So weit der Mausklick reicht. Und sogar noch viel weiter: Scrollt der Besucher nämlich bis an das untere Ende der Seite, fällt er plötzlich in einen artikel- und linkleeren Raum, in dem sich auch bei genauem Hinsehen einfach gar nichts befindet außer mausgrauem Hintergrund. Im Klartext: Das geliftete Webgesicht der SZ besteht zu einem Drittel aus Inhalten, zu zwei Dritteln jedoch aus benutzerunfreundlicher Oberfläche.

Alles bloß Formsache, könnte man meinen. Und es wäre auch irgendwie halb so schlimm, wenn da nicht noch ein weiterer Fehler im System zu finden wäre. Die süddeutschen Programmierer haben kein bisschen an die Netscape-Kunden gedacht. Je nachdem, welche Version auf welchem Betriebssystem benutzt wird, kuscheln sich die Zeilen auf der Startseite mehr oder weniger eng an- und ineinander – im schlimmsten Fall bis zur Unlesbarkeit. Die Print-SZ allerdings bewirbt freudestrahlend die „schlanke Grafik mit klaren Linien sowie eine leistungsfähige Technik“ – da stellt sich die Frage, ob die Seite im Münchner Intranet irgendwie anders aussieht als im World Wide Web. Doch praktizierte Promotion und Realität laufen hier deutlich auseinander: „Wir sind uns des technischen Problems bewusst, und es wird kräftig daran gearbeitet“, sagt Martin Wagner, Geschäftsführer des Content Verlags New Media, der für den Netz-Auftritt der Süddeutschen Zeitung verantwortlich ist. Allerdings ist auch eine Woche nach dem offiziellen Start das Erscheinungsbild, das Netscape ausspuckt, noch ziemlich abschreckend.

Dabei ist der Wille zur Online-Macht offensichtlich da. Kein Wunder – mit 12,3 Millionen Pageimpressions im vergangenen Monat ist die Süddeutsche die am häufigsten angeklickte Tageszeitung im Internet. Und diese Kundschaft soll noch enger gebunden werden. Deshalb schmiedet man in München eifrig Zukunftspläne: Das digitale Angebot will sich von der Print-Ausgabe emanzipieren. Ähnliches hörte man vor einigen Monaten auch vom spät gestarteten FAZ.net. Und Spiegel-online.de hat sich schon von Anfang an deutlich vom Mutterblatt gelöst. Nehmen die deutschen Zeitungen also plötzlich den Online-Journalismus ernst? Dass man mit einem bloßen Tickerdienst nicht aus dem Einheitsbrei der Medien-Webangebote heraussticht, hat die Süddeutsche immerhin erkannt. Deshalb werden nach dem Relaunch nicht mehr bloß aktuelle Nachrichten aus dem Agenturen-Pool angeboten, sondern mit einer rund 17-köpfigen Redaktion eigene Themen recherchiert und exklusiv fürs Netz verfasst. Auf die Frage, ob der Internet-User nicht hauptsächlich auf schnelle Meldungen giert, antwortet Chefredaktuer Patrick Illinger: „Wir sind nicht so stark an den Ticker-Junkies interessiert.“

Darum legen die Süddeutschen mehr Wert auf eine Einordnung der aktuellen Ereignisse in einen Gesamthintergrund. So werden zahlreiche Dossiers angeboten, die Artikel und Informationen sowie weiterführende Links zu ausgewählten Themen bündeln und für die Online-Welt erstaunlich lange Texte, aber wenig Bilder oder Grafiken bieten.

Zur Vertiefung ihrer Berichterstattung haben die Bayern sogar einen Online-Parlamentskorrespondenten nach Berlin geschickt – Thorsten Denkler berichtet aktuell und exklusiv aus der Hauptstadt ins Internet. „Wir wollen mit den großen Medienanbietern mithalten und die vorhandenen Synergien nutzen“, erklärt er. So wurde sein Interview mit Kerstin Müller, Fraktionsvorsitzende der Grünen, gleich doppelt verwertet: einmal im Web, tags darauf in der Printausgabe, die auch komplett im Internet abrufbar und archiviert ist. Konvergenz ist eben das Zauberwort, das schon länger durch die Medienwelt geistert.

Aber sonst wird in der SZ-Online-Redaktion Selbstständigkeit groß geschrieben. Die angebotenen Inhalte gliedern sich in 15 Rubriken, die – wie bei fast allen Medienportalen – in einer Spalte am linken Bildschirmrand aufgelistet sind: Hier werden die gängigen Themen aus In- und Ausland, Wirtschaft, Kultur und Sport durch Rubriken wie Reise, Karriere, Wissenschaft und Auto ergänzt. Außerdem informiert das Ressort „Leben & Stil“ über kulinarische Neuigkeiten und eine Ecke namens „ . . . und übrigens“ über frischen Klatsch und Tratsch. Hier erfährt man die neuesten Entwicklungen im Leben des Skandalrappers Eminem oder wird auf den aktuellen Stand der Dinge in der Gerüchteküche um Robbie Williams gebracht. „Panorama“ heißt diese Rubrik in den meisten Zeitungen – auch online wird so etwas gern gelesen.

Ein absolutes Novum im deutschen Online-Zeitungsmarkt ist dagegen der digitale Regionalteil der virtuellen Süddeutschen. Zwei Redakteure kümmern sich darum, News und Veranstaltungshinweise aus dem Münchner Raum ins Netz zu hieven. Da geht es zum Beispiel um einen Motorradunfall wegen fehlerhaft verlegter Straßenbahnschienen und um den neuen Münchner Mietspiegel. Bei so viel Lokalkolorit könnte man fast vermuten, dass solche Artikel demnächst in bayrischer Mundart verfasst werden. Noch beschränkt sich die SZ allerdings darauf, HTML auf süddeutsch zu schreiben.