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„Ungewöhnliches tun“

Die „Manic Street Preachers“ sind von ihrer heftig kritisierten Fidel Castro- Audienz auf Kuba zurückgekehrt  ■ Von Volker Peschel

„Wir haben großen Respekt für die kubanische Bevölkerung, für die kubanische Kultur. Und wir wollten etwas wirklich Ungewöhnliches tun“. So rechtfertigt Bassist Nicky Wire den viel diskutierten Auftritt der Manic Street Preachers auf Kuba. Als Opfer eines gut kalkulierten Polit-Poker mussten sie sich beschimpfen lassen. Als kritiklose Marionetten Fidels.

Doch sei es drum, für die Band selbst war es wohl ganz banal eine Gelegenheit, die man nicht ausschlagen wollte. Zu groß war die Lust auf das Abenteuer Kuba, zu groß die Verlockung nach großen Schlagzeilen und Promotion für ihr neues Album. Und auch Herr Castro befand sich auf der sicheren Seite mit seiner Entscheidung, den Rock 'n' Roll (seit dem 72er-Skandal um Silvio Rodrigues als Verwestlichung der kubanischen Musik mehr oder weniger von der Insel verbannt) ausgerechnet in Form der Manic Street Preachers ins Land zu lassen. Untadelig liest sich die Vita der Band aus Blackwood, South Wales, der anfangs vier Freunde, die während der Minenarbeiter-Streiks der Thatcher-Achtziger ihre Jugendjahre verlebten.

Der hehre Anspruch, mit ihrer Musik an den Festen der Welt-Ordnung rütteln zu können, zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Schaffen. Nur zu gerne schmücken sie sich mit großen Denkern, Zitate von Cocteau bis Burrough verschönern ihre Homepage. Der walisische Sozial-Reformer Aneurin Bevan darf den Titel des Albums This Is My Truth Tell Me Yours spenden, auch Dylan Thomas oder Richard Burton erhalten die angemessene Würdigung. Sie rekapitulieren die großen Kämpfe des Jahrhunderts, vom Spanischen Bürgerkrieg in If You Tolerate This Your Children Will Be Next bis zu den Ungerechtigkeiten der „sozialen“ Marktwirtschaft, speziell im Stahlarbeiter-Revier ihrer Heimat.

Doch die Manic Street Preachers sind keine polterigen Eintags-Revoluzzer. Denn erstens sind Mastermind James Dean Bradford und seine Mitstreiter Popstars, sei es wegen banaler Chart- und Award-Erfolge, sei es wegen ihres standesgemäßen Auftretens – legendär das Interview, in dem sich Gitarrist Richey James schweigend die Worte „4 real“ in den Arm schnitt. Er verschwand 1996; es gibt bis heute kein Lebenszeichen von ihm. Zweitens sind die Manics hervorragende Musiker, die eine geschickte wie intelligente Definition von Rockverständnis abgeliefert haben.

Nun haben sie ihr sechstes Album vollendet und Know Your Enemy betitelt – womit sie natürlich den inneren Feind meinen, die eigene Trägheit, die es zu überwinden gilt. Und welche Stadt könnte sich besser eignen für ihren Welttournee-Auftakt, als Havanna. Was als Nachricht so klingen mag wie eine gelungene Parodie auf die Manic Street Preachers, wurde Realität am 17. Februar.

So trafen sie also ein auf dem Karibik-Eiland, Sänger James Dean Bradfield, Drummer Sean Moore (James Cousin) und Bassist Nicky Wire. Als „El famoso grupo de rock británico“ werden sie angekündigt, umgerechnet 30 Pfennige kosten die wenigen Kaufkarten, der Großteil des Publikums kommt auf handverlesene Einladung. Ein Rumoren geht durch die über 4.000 Zuschauer, als sich eine bärtige Gestalt den Weg auf den Logen-Balkon bahnt: Fidel Castro nimmt Platz, während ihm rote Manic Street Preachers-Fähnchen entgegen wedeln. Und dann spielen sie ihr Set, die Band, die sich einst weigerte, vor der Queen aufzutreten. Die gesamte Show wird Castro bleiben und Bradfield begutachten, wenn er akustisch und solo vor einer hauswandgroßen Kuba-Flagge Freedom Of Speech Wont Feed My Children singt.

Der Feldzug der Manics gegen eine Amerikanisierung der Welt setzt sich in einer Art all-inclusive -bustrip am nächsten Tag fort. Castro lässt sie als Ehrengäste nach Santa Clara chauffieren. Eine neue Universität wird eröffnet, die Asche des Che liegt gleich um zu. „Andere Bands treffen Tony Blair, wir Fidel Castro“, freut sich Wire. Man mag ihnen Huldigung eines wahrlich nicht paradiesischen Sys-tems vorwerfen, doch das geht zu weit. „Niemand hat etwas auszusetzen, wenn wir in Thailand spielen“, wundert sich Bradfield. „Und was ist mit den 5.000 Menschen, die letzte Woche in South Wales ihre Arbeit verloren haben? Wo sind ihre Menschenrechte?“ Vielleicht wollten sie einfach die Gelegenheit nutzen, auf dem Höhepunkt ihrer Popularität einen unpopulären Schritt zu tun.

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