: „Ein Schloss? Was soll der Quatsch“
Für den Architekten Christoph Ingenhoven ist die Schlossdebatte Ausdruck eines Generationenkonflikts, wo die saturierten 68er den heute Jungen das verbieten wollen, was sie einst machten: nämlich alte Zöpfe in der Stadtentwicklung abschneiden
Interview TOBIAS HERING
taz: Die Befürworter des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses meinen: „Alle großen Städte Europas sind ohne ihr Schloss denkbar. Für Berlin aber gilt: Das Schloss lag nicht in Berlin, Berlin war das Schloss.“
Christoph Ingenhoven: Der Charme oder das Herz Berlins ist für mich etwas völlig anderes als das Schloss. Dann hätte Berlin über die letzten 50 Jahre kein Herz gehabt, und das stimmt ja einfach nicht. Die Zeit, in der Berlin nach dem Krieg einmal den Anschein machte, dass es eine internationale Metropole sein könnte, das war Ende der 70er-Jahre. Ein kurzer Moment des Avantgarde-Daseins, weil man nicht so unter Beobachtung stand. Wenn man überlegt, auf was sich das bezogen hat und auf was sich Berlin in Zukunft beziehen könnte, dann ist es dieses Nichtfestgelegte, dieses Experimentelle, dieses bisschen Gefährliche. Die Aufgaben, vor denen Berlin steht, haben viel zu tun mit Denken, mit Diskutieren, mit Experimentieren. Die haben nichts damit zu tun, in der Mitte der Stadt das 19. Jahrhundert durchzuexerzieren.
Man wirft Ihnen wegen Ihrer ablehnenden Haltung zum Schloss „Geschichtslosigkeit“ vor.
Was mir als geschichtslos ausgelegt wird, nenne ich geschichtsbewusst. Kann jemand, der die Geschichte kennt, dafür sein, das Schloss wieder aufzubauen? Das ist die Frage, die ich stelle. Ich habe das Gefühl, dass die Bundesrepublik nach 16 Jahren Kohl’scher Hinführung zum Stillstand eine andere Art von Beweglichkeit verdient hätte, als das zurzeit an den städtebaulichen und architektonischen Signalen aus dem Zentrum der Republik ablesbar ist.
Senatsbaudirektor Hans Stimmann vertritt den Standpunkt, die Moderne habe gezeigt, dass es ein Fehler gewesen sei, gesellschaftliche Experimente in die Stadtplanung zu übersetzen.
Es ist doch grotesk, wenn ein heute 60-Jähriger einem 40-Jährigen das Experimentieren verbieten will mit dem Argument, es sei zu seiner Zeit bereits gescheitert. Jede Generation braucht ihre eigenen Experimente. Es ist nicht so, dass ich ohne Respekt von der „kritischen Rekonstruktion“ reden würde, nur glaube ich bei allem Respekt, dass es die falsche Haltung ist. Ich möchte denen sagen: Ihr macht da noch auf den letzten Dreh etwas, was jetzt gerade noch möglich ist. Kurz bevor eine Generation das Sagen bekommt, die sagen würde: „Schloss? Was soll der Quatsch?“
Ist es nur ein Thema zwischen einer Generation, die jetzt entscheidungsbefugt ist, und einer, die in zehn Jahren die Konsequenzen zu tragen hat, oder ist es vielleicht auch ein Konflikt innerhalb Ihrer Generation?
Wir haben jetzt eine Generation an der Macht, zu der ich mich gar nicht zähle. Die sind 68 jung gewesen. Die kommen mir vor wie ältere Geschwister, denen wir mal geglaubt haben. Ich habe es dieser Generation gegönnt, aber ich habe das Gefühl, dass die uns noch sehr enttäuschen werden.
Inwiefern?
Weil die komischerweise plötzlich die Staatskarosse und das steinerne Berlin, also Dinge für satisfaktionsfähig halten, für die sie nicht gestanden haben. Eine gewisse anfängliche Lust an den Insignien der Macht ist ja verständlich. Aber jetzt ist der Punkt, wo ich denen sagen will: Jetzt konzentriert euch wieder mal ein bisschen. Aber bevor ihr euch wieder daran erinnert, was ihr die ganze Zeit vor euch hergetragen habt, möchte ich nicht erleben, dass ihr mal eben fürs Schloss stimmt. Vor wem wollt ihr euch denn damit profilieren? Da ist möglicherweise eine Überkompensation am Werk oder sogar schlicht Karrierismus. Ich bin ja kein Revoluzzer, aber ein bisschen mehr Ablösung des Establishments hätte ich mir schon gewünscht.
Gerade von Ihrer Generation heißt es ja, dass sie so karrieregeil sei. Und mit dem relativen Wohlstand, den Ihnen das eingebracht hat, sind Sie jetzt die Zielgruppe der stadtplanerischen Fakten, die Ihnen von den etwas Älteren vorgesetzt werden.
Ich wehre mich dagegen, die Durchzugsgeneration zu sein. Man hat uns und mir auch persönlich immer vorgeworfen: Ihr seid zwar mal bei den Jusos gewesen, aber im Grunde seid ihr doch die Yuppies, alle so erfolgreich und wohlhabend. Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich so nicht bin.
Der Erfolg mag das eine sein, aber ich bin nicht flach. Erkläre mir doch mal einer die intellektuelle Dimension dieses Schlosses.
Es hat ja eher eine anti-intellektuelle Dimension. Spricht nicht aus dem Wunsch nach dem Wiederaufbau des Schlosses eher eine Sehnsucht, doch ein Ende für eine Entwicklung zu finden?
Richtig, aber wieso denn Ende, das ist ja die Frage. Anfang sage ich, Anfang!
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