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Mit den Punks durch die Tundra

Beim 13. Nordischen Filmfestival im Norden Norwegens kam die ethnische Minderheit der Samen ganz groß raus: Zum Beispiel mit dem ersten samischen Sciencefiction und der ersten Coming-out-Geschichte einer Saami-Lesbe. Eindrücke aus Kautokeino

von BARBARA LOREY DE LACHARRIÈRE

Ab Ivalo, tausend Kilometer nördlich von Helsinki, führt die Straße nach Nordwesten durch die sanfte Hügellandschaft der tief verschneiten Tundra. „Murmansk, 250 km“, steht auf dem Straßenschild an einer Kreuzung, das nach rechts weist. Unser Bus fährt weiter geradeaus, über die norwegische Grenze in Richtung Guodudageaidnu in der Finnmarkvidda.

Karasjok, erste Station hinter der Grenze im Herzen von Sápmi, dem Land der Samen. Die Samen sind eine lose miteinander verbundene ethnische Minderheitengruppe mit eigener Sprache, Kultur und Geschichte, die nördlich des Polarkreises über Norwegen, Finnland, Schweden und Russland verstreut ist. Über die Hälfte der insgesamt etwa 70.000 Samen leben in Norwegen, wo ihnen seit etwa 20 Jahren weit reichende kulturelle Autonomie zugesichert wird. Hier befinden sich auch das nagelneue Parlament der Samen und die samischen Niederlassungen des staatlichen norwegischen Rundfunks und Fernsehens sowie andere eigene Kultur- und Sozialeinrichtungen. Nach weiteren 140 Kilometern tauchen schließlich die ersten Häuser von Guodudageaidnu auf, der flächenmäßig größten Gemeinde Norwegens.

Für die circa 3.000 Einwohner Kautokeinos, wie der überwiegend von Saami bewohnte Ort auf Norwegisch heißt, ist dieses Jahr zu Ostern mächtig was los. Dem traditionellen großen Osterfestival der Samen mit Rentierwettfahrten, Joikmusik, Kindstaufen und dreitägigen Hochzeitsfeiern geht hier nämlich das Nordische Filmfestival voraus, ein Schaukasten der neuesten nordischen Filmproduktionen. Organisiert wird es gemeinsam von den verschiedenen nationalen Filminstituten Skandinaviens, und seit seiner Gründung 1978 findet es abwechselnd in den Hauptstädten und in den entlegensten Ecken der fünf Länder statt.

Und da Filmemachen „voll in der Tradition“ der samischen Kultur steht, wie Anne Lajla Utsi kühn behauptet, gibt es parallel hierzu im Kulturzentrum eine Art Mini-Saami-Filmfestival mit immerhin 18 Dokumentarfilmen und 5 Kinderfilmen, das von der jungen Frau mit sehr viel Energie und in akzentfreiem Englisch geleitet wird. Für lange Spielfilme fehlt es wohl noch an Geld, gedreht wird überwiegend auf Video, meist für das Saami-Fernsehen.

Aber das soll sich bald ändern, dank eines im Aufbau begriffenen Saami Film Fonds, den man sich vom vor sechs Jahren gegründeten Saami Council erhofft, einem länderübergreifenden kulturellen und politischen Zusammenschluss der Samen in Norwegen, Finnland, Schweden und Russland.

Anne Lajla, die stolz die traditionelle rote Tracht der Samen mit der hohen Kopfbedeckung trägt, hat auch selbst zwei kurze Videoreportagen gemacht, in denen sie die Identitätsprobleme und das neu erwachte Selbstbewusstsein der jungen Saamigeneration behandelt – Themen, die wie ein roter Faden fast alle der hier gezeigten Dokumentarfilme aus Norwegen, Schweden und Finnland durchziehen.

Stellvertretend für viele andere ihrer Generation sieht auch Anne Lajla die Forderungen der Saami nach kultureller Autonomie und Selbstbestimmung durchaus global. So hat sie bereits Vergleichsmöglichkeiten während eines mehrmonatigen Aufenthalts bei den Indianern im Amazonasgebiet sammeln können, die dort gegen die Zerstörung des Regenwaldes kämpfen.

Großen Beifall von den überwiegend jugendlichen Zuschauern erhält der Kurzfilm „Back to Saimu“, im Programm als „erster samischer Sciencefiction-Film“ angekündigt. Er handelt vom Ausbruch einer Gruppe jugendlicher Punks aus einer tristen Hochhaussiedlung. Auf geklauten Snowscootern und mit einer hoch im Wind flatternder Saami-Flagge jagen sie in die verschneite Tundra hinaus. Bis auf die wunderschöne schwarz gewandete Anführerin und ihren Gefährten kehren sie nach einer ersten Nacht im traditionellen Lappenzelt aber recht kleinmütig wieder in die klimatisierte Zivilisation zurück. Die Regisseurin Silja Somby, eine weitere taffe junge Frau, steht der Saami Film Association vor und sitzt im Vorstand des Nordnorwegischen Filmcenters. Überhaupt zeigen die Frauen hier durchaus entschiedenes Selbstbewusstsein, was in der traditionellen Männergesellschaft der Rentierzüchter sicherlich nicht immer ganz einfach sein mag.

Freitagnachmittag. Riesiges Gedränge vor dem Kinosaal des Kulturzentrums. Die Premiere von „Lesbisk in Kautokeino“ – das erstmalige Coming-out einer Saami-Lesbe – ist fürs Publikum gesperrt, und nur geladene Gäste werden nach sorgfältiger Prüfung der Badges eingelassen. Einer der im Film interviewten Männer hat mit einer Klage gedroht, und nun muss die Festivalleitung erst einmal einen Rechtsanwalt zur Lage befragen. Im Film erzählt eine Frau namens Marit von den Schwierigkeiten und Anpöbeleien, die sie schließlich veranlassten, aus dem Ort wegzuziehen. Für die Vorführung ist Marit zum ersten Mal seit Jahren wieder nach Kautokeino zurückgekommen, fast als Heldin.

Für die kleine blonde Berit dagegen, die mit ihren vier Brüdern gemeinsam eine riesige Rentierzucht betreibt, besteht das Hauptproblem vor allem darin, eine Partnerin zu finden. Erschwerend mag sicher hinzukommen, dass Berits Traumfrau „möglichst auch mit Rentieren vertraut sein sollte“.

Nach der Vorführung gibt es natürlich rückhaltlose Sympathiebekundungen, das ortsansässige Publikum, das den Film am nächsten Tag dann doch zu sehen bekommt, verleiht dem Film am Schluss sogar den Publikumspreis.

Während sich das Saami-Filmprogramm regen Zulaufs erfreut, sowohl von Jugendlichen in modischen Skaterschuhen als auch mit traditionellen Fellstiefeln und in Saamitracht, herrscht bei den skandinavischen Spielfilmen häufig gähnende Leere. Außer natürlich bei „Pathfinder“, den sicherlich jeder Zuschauer mindestens einmal gesehen hat. Schließlich ist Nils Gaup, der hier in Kautokeino geboren ist, wohl der international berühmteste Saami, der mit diesem damals für Norwegen spektakulär aufwendigen Film 1987 sogar die erste Oscar-Nominierung seines Landes eingeheimst hatte und seither von Hollywood mit mehr oder weniger Glück umworben wird. So wurde ihm gerade kürzlich von Universal ein Remake von „Pathfinders“ angetragen.

Gaup, der ganz stilecht auf seinem Snowscooter und mit wehender Fellmütze vor dem Festivalcenter aufkreuzt, bereitet gerade das Casting für sein neues Spielfilmprojekt vor. „Kautokeino Revolt“ wird die legendäre Geschichte vom blutigen Aufstand im Winter 1855 gegen die dänischen und norwegischen Autoritäten erzählen. Damals wurden zwei der Saami-Rebellen geköpft und eine ganze Reihe anderer Aufständischer zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt. Gaup will natürlich wie immer einen richtig großen Film drehen, „teurer als Hollywood“, wie er zu sehr später Stunde während der Closing Party in der Hotelbar erzählt. Allerdings kann man ihn kaum verstehen, da im Nebenraum die Inga Juuso Band mit einer Mischung von traditioneller Joikmusik und Rock die Stimmung anheizt. Leider wurde dann später nichts mehr aus der geplanten nächtlichen Scooterfahrt bei Vollmond und Nordlichtern, da Gaup schon locker die erlaubte Promillegrenze überschritten hatte. Und die Polizei, die hier oben in Guodudageaidnu am Wochenende den rasanten Snowscooter-Piloten auf dem zugefrorenen Flussbett auflauert, kennt angeblich keine Gnade.

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