Selbsterfindungen

Mode als Transkript der Seele: „Full Gallop“ im Theater im Greenhouse erzählt aus dem Leben Diana Vreelands

Für Diana Vreeland war Mode eine Lebensaufgabe. „Stil bedeutet, sich selbst zu erfinden“ lautete ihr Slogan, der sich genauso als Deutung ihrer Biografie lesen lässt: 25 Jahre arbeitete Diana Vreeland als Redakteurin der renommierten Modezeitschrift Harpers Bazaar, ehe sie 1962 Chefredakteurin der Vogue wurde und ein Jahrzehnt (die 60er!) die einflussreichste Modejournalistin der Welt war. Und selbst nach ihrer plötzlichen Entlassung verschwand sie nicht von der Bildfläche, sondern übernahm eine Beratungsfunktion am Kostüminstitut des Metropolitan Museum of Art.

Das kleine Theater im Greenhouse porträtiert die Entscheidungsträgerin an der Weichenstelle zwischen Kündigung und Wiederauferstehung. Ganz selbstverständlich eröffnet die Schauspielerin Ruth Preller-Gutdeutsch den Abend mit einem Glas in der Hand. Prost, auf die Vergangenheit! Alt, arbeitslos und allein ist Diana nur noch das überschüssige Objekt einer großen Legende. Doch bald findet sie zu ihrer Kraft zurück. „Full Gallop“ ist Titel und Motto des Theaterabends, und im vollen Gallopp prescht Preller-Gutdeutsch durch das stimmige O-Ton-Arrangement des Autorenduos Mark Hampton und Mary Lousie Wilson. Martin Rhys hat einen Monolog inszeniert, der die Intimität des Theaters im Greenhouse vorteilhaft nutzt.

Der Bühnenraum des „kleinsten Kammertheaters Berlins“ befindet sich im Keller unter dem Einfamilienhaus der Schauspielerin. Die Eintrittskarten werden im Vorzimmer verkauft, die Zuschauer sind Gäste. In dieser Privatheit zeigt Rhys das Stück ohne Distanz. Sein Aufhänger ist Dianas Galgenhumor, der sich allmählich als Zuversicht entpuppt.

Wenn Vreeland bewundernd von Coco Chanel und Helena Rubenstein erzählt, die „nicht im eigentlichen Sinne schön“, aber „unglaublich zauberhaft“ waren, erzählt sie von sich: Von einem hässlichen Kind, aus dem ein stilsicheres Mädchen wurde, und bald eine Diva, deren Erscheinungsbild jede Naturschönheit blass aussehen ließ. Mode als Transkript des menschlichen Charakters, als Manifestation des eigentlich Menschlichen: des Selbstbewusstseins.

Akkurat frisiert und geschminkt wie eine japanische Meki, in figurbetontem Schwarz verkörpert diese Vreeland den Beweis, dass Vergesslichkeit und hängenden Oberarmen im Bereich des Kunstschönen keine – oder zumindest eine ganz andere – Bedeutung zukommt. Selbsterfindung kennt kein Datum. Ruth Preller-Gutdeutsch, die vormals an der HdK lehrte und in letzter Zeit im Eigenheim und im Berliner Ensemble auf der Bühne stand, scheint die Rolle der Modeautorität auf den Leib geschneidert. Die deutschsprachige Erstaufführung ist ein geradliniges Kammerspiel. Die Premierenfeier findet im Wohnzimmer statt. JULIA ENGELMAYER

Nächste Aufführungen: 20., 21., 27. und 28. April, 20 Uhr, Theater im Greenhouse, Roonstr. 12, Zehlendorf