: Unglückliche Internationale
Die Manic Street Preachers sind die letzte aufrechte Neinsager-Band. Ihr neues Album präsentierten sie jüngst in Havanna vor Fidel Castro – in Berlin dagegen gab es am Mittwoch nicht mal rote Fahnen
von ANDREAS HARTMANN
Die Manic Street Preachers tragen eine schwere Last mit sich herum. In Zeiten wie diesen, in denen Pop gerade noch in der Lage ist, Zeichen zu produzieren, die mit etwas Mühe politisch verwertbar sind, politische Weltverbesserungsslogans allerdings kaum noch ernst genommen werden, verstehen sie sich als letzte aufrechte Neinsager-Band, die dem Endsieg des Kapitalismus die rote Karte zeigen möchte. Das Problem, das die Manics dabei haben, liegt darin, dass das, was sie kritisieren, bereits zu perfekt funktioniert. Da nennen sie ihre aktuelle Platte „Know Your Enemy“, schreiben einen Song mit dem Titel „Baby Elian“, in dem Amerika als „der Spielplatz des Teufels“ bezeichnet wird, und gehen damit bei Castro höchstpersönlich hausieren. Als erste westliche Rockband überhaupt spielten sie ihr Einstandskonzert zur neuen Platte im Karl-Marx-Theater in Havanna. Vor dem Ehrengast Castro. Und das, obwohl ihre Plattenfirma Sony aufgrund des Handelsembargos nicht mal ihre Platten in Kuba vertreibt.
Ist das nun ein Zeichen für die Sympathie der Manics gegenüber Fidel und Sozialismus oder doch eher bloß ein gelungener Publicity-Gag? Der Rummel um die neue Platte der Manics war im Vorfeld jedenfalls riesig, gleich zwei neue Songs landeten in den englischen Top Ten, und wahrscheinlich rüsten sich bereits weitere englische Bands, so befürchtet Manics-Bassist Nicky Wire selbst in einem Interview, für einen Promotion-Gig im Land der siegreichen Revolution.
Von Agitation und zornigem Aufbegehrem war bei dem Konzert der Manic Street Preachers in der Columbia-Halle nichts zu spüren. Nicht einmal rote Fahnen wurden geschwenkt oder die Internationale angestimmt. Deswegen schien aber auch kaum jemand gekommen zu sein. Die Leute wollten mit Hits unterhalten werden, gut geschmiedete Rocksongs hören und eine nette Zeit haben. Mehr nicht. Mehr gab es auch nicht.
Im Laufe ihrer Karriere haben es die Manic Street Preachers auf sechs Platten gebracht. Nicht alle davon sind Gold. Anfangs machten sie einen schmerzverzerrten Rock, der immer wieder eine klare Linie im Songwriting vermissen ließ. Erst nach dem kuriosen Verschwinden des damaligen Manics-Vordenkers Richie Edwards Mitte der Neunziger – er ist bis heute nicht wieder aufgetaucht – brachten die Manics etwas Ordnung in ihr Rockschema. Mit ihrer vorletzten Platte „This Is My Truth Tell Me Yours“ gelang ihnen dann der ganz große Wurf. Die Entscheidungslosigkeit zwischen Rock und Pop ist auf „Know Your Enemy“ zwar zurückgekehrt, doch so lange die Manics immer noch Hits wie den aktuellen Mitbrüller „So Why So Sad“ schreiben, gewinnen sie auch ihr Konzertpublikum. Ein Rocker aus alten Tagen wurde an einen jüngeren Midtempo-Song gereiht oder umgekehrt, alles ging routiniert vonstatten, doch für ein paar Hände, die in die Luft geschmissen wurden, reichte es allemal.
Diese drei Typen aus Wales da vorne auf der Bühne, zwei von ihnen unglamourös dicklich und der dritte auch nicht ganz so schön wie Robbie Williams, konnten oder wollten nicht mehr als einfach nur ein gediegen okayes Rockkonzert abzuliefern. Die Tatsache, dass es keine Zugabe gab, war noch das Vor-den-Kopf-Stoßendste daran. Allerdings, so hört man, geben die Manic Street Preachers einfach aus Prinzip keine Zugaben.
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