Montenegros Schicksalswahl

Mit der Parlamentswahl am Sonntag fällt eine wichtige Vorentscheidung über die Unabhängkeit Montenegros von der Bundesrepublik Jugoslawien. Die Unabhängigkeitsbefürworter um Präsident Djukanović sind in der Mehrheit
aus Podgorica ERICH RATHFELDER

Schon an der Grenze nach Montenegro ist die Spannung zu spüren, die über dem Land liegt. Die vorgezogenen Neuwahlen, am Sonntag haben die Gemüter der 477.000 Wähler aufgewühlt. Der Kampf der zwei Richtungen – einerseits die für die Unabhängigkeit des Landes von Serbien streitende Bewegung unter Präsident Milo Djukanović, andererseits der proserbische Block unter Predrag Bulatović – drückt sich schon im Verhalten der Grenzer aus. Montenegro, das mit Serbien die Bundesrepublik Jugoslawien bildet, zeigt zwei Gesichter.

Während der eine Grenzpolizist verächtlich auf das jugoslawische Visum blickt und es nicht anerkennen will, drückt der Kollege den Einreisestempel auf Belgrads Dokument. Für den einen ist die Autoversicherung aus Serbien noch gültig, der andere will dem Reisenden eine montenegrinische Versicherung aufzwingen. Man einigt sich zwar, doch viele Montenegriner haben sich schon aus dem gemeinsamen Staat verabschiedet.

„Ausländer brauchen bei uns keine Visa mehr, wir haben mit der Deutschen Mark eine andere Währung als die Serben, wir haben einen eigenen Staat, wir wollen keine Kriege und keine serbische Herrschaft mehr“, sagt der Zöllner, der nur flüchtig das Gepäck überprüft. „Djukanović wird gewinnen. Daran ändert auch nichts, dass die Serben wieder ihre Spezialpolizei ins Land gebracht haben.“

Auf dem Weg nach Nikšić und Podgorica, der Hauptstadt der mit 700.000 Einwohnern ehemals kleinsten jugoslawischen Republik, ist davon nichts zu spüren. Die serbische Spezialpolizei und auch die Armee sind auf dieser Straße unsichtbar. Noch vor einem Jahr kontrollierten Soldaten der Armee die Fahrzeuge. Jetzt sind es die Djukanović-Polizisten, die sich das Gepäck zeigen lassen. Man befürchtet Provokationen, sagt einer. „Wir haben in den letzten Monaten schon mehrmals Waffen gefunden.“

Die Gebirgslandschaft ist dünn besiedelt. Die Schluchten sind nur durch unzählige Tunnel und Brücken zu überwinden. Um die zweitgrößte Stadt Nikšić weitet sich das Land. Doch selbst in den sanfteren Tälern ist jede Ackerkrume dem Felsen abgerungen. Aufgeschichtete Steine umgrenzen die winzigen Felder und Obsthaine. Montenegro ist arm. Und doch so reich. „Wir sind in der Lage, alle unsere Menschen zu ernähren, unser Land ist schön, unsere Küsten sind einmalig, wir warten auf Touristen. Wir wollen ein Reiseland sein“, sagt der 45-jährige ehemalige Gastarbeiter Milo Perović.

Er hat sich von dem im Ausland verdienten Geld ein schmuckes Haus an der Straße gebaut, ein kleines Café eröffnet und bietet Privatzimmer an. Wenn erst einmal wieder die Touristen kommen, will er im Sommer auch den Grill im Garten in Gang setzen. „Wenn wir unabhängig sind, dann können wir wieder besser arbeiten“, sagt er.

Zwar stehe er Milo Djukanović, dem mit 39 Jahre jungen Präsidenten, und seinem Wahlblock „Sieg Montenegros“ skeptisch gegenüber. Der habe seine Finger in zu vielen Schwarzmarktgeschäften, sagt Perović. Doch auch die Altkommunisten und proserbischen Kräfte „Gemeinsam für Jugoslawien“ seien keine Unschuldsengel. „Die waren doch mit Milošević, dem größten Gangster Jugoslawiens, liiert. Jetzt stehen sie gut mit Koštunica.“ Perović bevorzugt den „Liberalen Block“. „Die Liberalen waren immer konsequent für die Unabhängigkeit.“

Die zum Zentrum von Podgorica führende Straße ist abgesperrt. So hat eine Kolonne von schwarzen Limousinen freie Fahrt. Die Sitte des alten, sozialistischen Jugoslawiens unter Tito, den Politikern so Ehre zu erweisen, wurde in die Demokratie rübergerettet. Wer Macht hat, zeigt sie auch. Darin unterscheidet sich Montenegro nicht von den anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens.

„Aber unsere Mehrheit versucht, alle Bürger des Landes, seien es Montenegriner, Albaner, Bosniaken, Serben oder Kroaten, an unseren Staat zu binden“, sagt Milo Drag Vuković, engster Berater des Präsidenten. „Wir sind ein Vielvölkerstaat, und unsere Regierung hat die Minderheiten fair behandelt.“ Im Gegensatz hätten im Grenzgebiet zum Kosovo serbische Freischärler versucht, Albaner zu terrorisieren, berichten Mitarbeiter des Wahlbeobachterzentrums Cemi.

In den Cafés der Hauptstadt wird heiß diskutiert. In vielen Familien seien beide Fraktionen vertreten, sagen montenegrinische Journalisten. Nach ihrer Einschätzung wird das Wahlbündnis von Djukanović zusammen mit den Liberalen und den Minderheiten mit mindestens 42 der 77 Parlamentssitze erreichen.

Thema: „Sicherheitspolitische Lehren aus den Balkankriegen“ Samstag, 12.00 Uhr