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Atommüll ab in die Skandalanlage

Deutsche Energiekonzerne schicken radioaktiven Abfall lieber in die Wiederaufbereitungsanlage Sellafield, als sich um Entsorgung zu kümmern. Für die Nacht zum Dienstag ist vom AKW Neckarwestheim aus ein Brennstäbetransport geplant

aus Frankfurt a. M. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

„Mit Atom-Verbrechern darf man keine Geschäfte machen.“ In scharfer Form griff Greenpeace gestern die Energieversorgungsunternehmen Energie Baden-Württemberg (EnBW) und Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke (RWE) an, weil die beiden Unternehmen ihren Atommüll ausgerechnet zur britischen „Skandal-Wiederaufbereitungsanlage“ (WAA) in Sellafield transportieren wollen. Wahrscheinlich in der Nacht von Montag auf Dienstag werden drei Excellox-6-Behälter mit abgebrannten Brennelementen aus dem EnBW-AKW Neckarwestheim auf die Reise nach England geschickt. Und im RWE-Power-AKW Biblis warten schon zwei S1-Castoren mit je sechs abgebrannten Brennelementen auf ihren Abtransport wohl auch am Dienstag.

Die Transporte nach Sellafield halten sowohl Greenpeace als auch der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und der BUND für besonders verwerflich, weil in der WAA dort „katastrophale Verhältnisse“ herrschten, wie Greenpeace konstatierte. So sei die Betreiberfirma British Nuclear Fuels (BNFL) wegen der permanenten Missachtung von Sicherheitsbestimmungen allein in den letzten zwölf Monaten mehrfach zur Zahlung von Geldstrafen verurteilt worden, zuletzt am 6. April von einem Gericht in Whitehaven. Weltweit in die Kritik geraten war die WAA schon im vergangenen Jahr. Da hatten Mitarbeiter der „Qualitätssicherung“ von BNFL Papiere für Brennelemente gefälscht. Die Mischoxid-Brennelemente (MOX) aus Uran und Plutonium, die schon im deutschen AKW Unterweser im Einsatz waren, mussten danach umgehend entfernt werden; so wie auch der Geschäftsführer von BNFL. Der Mann musste auf Druck der Regierung Blair und der kritischen Öffentlichkeit zurücktreten.

Für jeden Betreiber von Atomanlagen in Deutschland würden Verhältnisse wie in Sellafield „das Aus“ bedeuten, glaubt Greenpeace. RWE und EnBW jedoch nutzten die niedrigen Sicherheitsstandards in Großbritannien aus. Im Gespräch mit der taz machte Susanne Ochse von Greenpeace darauf aufmerksam, dass BNFL zur Zeit über keine MOX-Produktionsanlage verfüge. Die alte sei stillgelegt, und die neue noch nicht genehmigt. Das Genehmigungsverfahren liege zur Zeit auf Eis. Das bei der Wiederaufarbeitung anfallende Plutonium muss also in Sellafield zwischengelagert werden. Wie lange? „Das weiß kein Mensch“, sagt Ochse. Verträge darüber existierten nicht. Aber irgend wann müsse „das Teufelszeug“ zurück nach Deutschland.

Dennoch sollen die Castoren also wieder „gen England“ rollen. „Völlig überflüssig“, findet Heidi Lindstedt vom Aktionsbündnis Castor-Widerstand Neckarwestheim. Im AKW Block 1 seien nämlich noch Lagerkapazitäten frei. Hartwig Berger von der „Atompolitischen Opposition bei den Grünen“ sprach gestern von „sittenwidrigen Verträgen“ zwischen EnBW und BNFL, wonach das Energieunternehmen auch dann für die Wiederaufarbeitung zahlen müsse, wenn keine Brennelemente geliefert würden. Also werde „auf Teufel komm raus“ verladen und abtransportiert. Für den kommenden Sonntag rufen die Atomkraftgegner zur Demonstration in Neckarwestheim auf. Treffpunkt ist der Bahnhof in Kirchheim (14 Uhr). In der Nacht zum Dienstag wollen sie dann alle wiederkommen und den Atomzug aufhalten. Die Polizei will „konsequent durchgreifen“. Sitzblockaden würden nicht geduldet, sagte gestern Polizeichef Hetger. Übrigens: Wer von der Polizei weggetragen wird, muss dafür „Transportgebühr“ bezahlen – 65 Deutsche Mark.

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