Blöd sind immer nur die anderen

■ Liebe, Sex und Pornografie: Jana Sterneckert verbaut sich ihr Regiedebüt „Der Zensor“ von Anthony Neilson durch eine Fülle ablenkender Regieeinfälle

Sechzehn null zwei: Penetration mit anorganischem Gegenstand. Sechzehn dreiundzwanzig: anale Penetration mit demselben. Siebzehn einundfünfzig: Wiederholung der Analeinführungssequenz. Achtzehn null drei: Wiederholung der Oralsequenz.“

Nein.

Es geht hier nicht ausschließlich um die mechanischen Aspekte der Sexualität. Anthony Neilsons jetzt im Brauhauskeller eingerichtetes Stück „Der Zensor“ behandelt vielmehr die dunklen und tabuisierten Möglichkeiten des – so hat's eine arabische Bekannte kürzlich wortgeschöpft: – menschlichen Zusammenschmelzens. Und ein bisschen handelt das kleine Drama des 1967 in Aberdeen auf die Welt gekommenen Autors auch von der alten Frage, wann Pornographie Kunst ist oder sein kann. Oder so.

Fantasialand liegt irgendwo im hintersten Winkel der britischen Zensurbehörde. Hier zieht sich die Titelfigur einen Porno nach dem anderen rein und hegt dabei sein Geheimnis. Auf tritt eine gewisse Miss Fontaine, die in den Augen des Zensors bloß einen von vielen Pornos gedreht hat. Nach eigener Auffassung ist sie aber für ein Kunstwerk verantwortlich, das wenigstens in Programmkinos aller Welt zugänglich gemacht werden müsse. Nun bekniet oder besser: bespringt diese Miss Fontaine den Zensor mit allen Mitteln, damit er sich für die Freigabe des Werkes einsetzt. Die dem Stück nach durch Praxis mit vielen bizarren Spielarten des Sex vertraute Pornografin trifft auf den Sexperten von Berufs wegen, der sich am Ende als das erweist, was er zu sein bestreitet: als „ein unterdrückter, anal verklemmter Apparatschik“.

Neilsons Stück ist vor allem anderen ein Machtkampf, der körperlich drastisch und verbal mit allen Mitteln der Verführung ausgetragen wird. Vielleicht schreibt hier an dieser Kritik ein stockkonservativer Anhänger eines psychologischen Theaters, aber die debütierende Jana Sterneckert hat an diesem Kern des Stückes über weite Strecken der einstündigen Aufführung vorbei inszeniert. Ihr kurz verwirrender, dann überzeugender und somit bester Regieeinfall ist der Beinahe-Verzicht auf die dritte Figur, die Ehefrau des Zensors. Nicht mehr auf der Bühne, sondern hier nur als Off-Stimme kurzer Videoprojektionen (der Zurichtung eines Hähnchens in der Küche) deutet sie an, dass es wohl bei Zensors daheim ein Problem gibt.

Die bislang als Regieassistentin im Bremer Theater tätige Jana Sterneckert interessiert sich sehr, zu sehr für die Anspielungen auf Film im Stück und für den Seelenstriptease im Fernsehen. In einem Raum, der wie eine Mischung aus Mannschaftsumkleide und Peep-Show-Inneneinrichtung aussieht und über dem „Come in and find out“ als Motto steht (Ausstattung: Isolde Wittke), spielen sich der Zensor und Miss Fontaine durch eine oft unverständliche Mixtur aus Regieeinfällen.

Mal sprechen sie so langsam wie in einem mit gebremster Tonspur ablaufenden Film, mal greifen sie zum Mikrofon und spielen die unvermeidliche Nachmittagstalkshow. Das schale Doppelmotto: Hauptsache, man amüsiert sich, und blöd sind immer nur die anderen.

Solveig Krebs als quietschebunt kostümierte Miss Fontaine und Matthias Kleinert als in Shorts, Blümchenhemd und Baseball-Kappe völlig unverständlich verkleideter Zensor ist da kaum ein Vorwurf zu machen. Stück und Inszenierung verlangen ihnen mehr gespielte körperliche Annäherungen ab als üblich. Aber Jana Sterneckert sind diese Regieanweisungen offenbar zu oft zu absurd vorgekommen. Kaum etwas geht hier ohne einen kleinen Gag, eine blöde Turnerei oder eine rätselhafte Brechung über die Bühne. Was ein Zweikampf hätte werden können, plätschert vor sich hin. Auch das Finale, in dem Jana Sterneckert Neilson plötzlich ganz wörtlich nimmt und den bloß möglichen Mord an der Femme fatale auch inszeniert, kann das nicht mehr retten. Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 28. April sowie 11., 13., 20. und 25. Mai um 20.30 Uhr im Brauhauskeller des Bremer Theaters.