: „Probleme nicht tabuisieren“
Bayerns Innenminister Günther Beckstein will Asylfälle bei nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung großzügig behandeln, das Grundrecht auf Asyl aber kippen – „Einwanderung wird automatisch zum Wahlkampfthema“
von BERND SIEGLER
taz: Sie sind Synodale der evangelischen Landeskirche. Wegen Ihrer Asylpolitik haben manche Kritiker an Ihrer christlichen Grundüberzeugung gezweifelt.
Günther Beckstein: Meine Politik hat keine Nachhilfe in Sachen christlicher Prinzipien nötig, und der Freistaat hat unter meiner Verantwortung im Bereich humanitärer Hilfe für Bosnier und Albaner mehr geleistet als jedes andere Land in Europa. Meine Meinung war immer: Wir müssen Menschen in Not helfen, egal wo. Gleichzeitig müssen wir aber auch den massiven Missbrauch des Asylrechts abstellen.
War früher in der Debatte um Zuwanderung stets von Abschottung die Rede, dreht sich heute die Diskussion um die Höhe der Zuwanderung. Ein Paradigmenwechsel?
Es geht um die Frage, wie man auf aktuelle Situationen reagieren kann und muss. Die CSU hat dabei keine Kehrtwendung in ihrer Auffassung, dass Deutschland kein klassisches Einwanderungsland ist, vollzogen. Wir wollen doch nicht wie die Grünen die Politik der offenen Grenze. Wir wollen und müssen die Zuwanderung steuern und begrenzen nach der Maßgabe, wie viel davon für unsere Volkswirtschaft notwendig und nützlich ist und wie viel integriert werden kann. Es haben sich also nur Nuancen verändert.
Nuancen? So lange ist es doch noch gar nicht her, da beharrte die CSU regelrecht darauf, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei.
Ich verhehle nicht, dass wir uns hier aufgrund von veränderten Bedingungen auch verändert haben. Unter dem Aspekt demografischer Entwicklungen und unter dem Aspekt eines globalisierten Arbeitsmarktes müssen wir eben gewisse Veränderungen vornehmen.
Ist die Union in einer Zwickmühle, einerseits das rechte Wählerpotenzial nicht zu verprellen und es sich aber auch mit der Wirtschaft, die immer lauter nach Zuwanderung ruft, nicht zu verscherzen?
Ich glaube nicht, dass wir in dieser Gefahr sind. Unsere Wählerschaft und nicht nur die, auch die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung bewegt die Frage, wie wir die Zuwanderung steuern können. Es ist doch kein Wunder, dass der Bundeskanzler und auch Innenminister Schily an diese Frage mit größter Zurückhaltung herangehen. Sie kennen die Umfragen, wonach zwei Drittel der Bevölkerung gegen eine massenhafte Zuwanderung aus dem Ausland und gegen eine Multikulti-Gesellschaft mit Parallelgesellschaften sind. Die wollen keine Chinatowns oder Polish Cities wie in den USA.
Glauben Sie, dass Gerhard Schröder den Mut hat, ein Zuwanderungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode anzupacken?
Nein, das wird er nicht. Er wird die eine oder andere kleine Teilregelung vornehmen, um seine Untätigkeit zu verschleiern. Ein so schwieriges Thema im letzten Jahr vor der Wahl durchzubringen, dazu hat Schröder nicht den Mut. Zumal er und Schily sicher noch schwer am Doppelpass und der Serie von Wahlniederlagen zu knabbern haben.
Die Union wollte nach den Landtagswahlen eine gemeinsame Plattform entwickeln. Wo liegen die Differenzen zur CDU?
Wir sehen es als zweckmäßig und richtig an, die Frage der Asylverfahren anders als bisher zu lösen. In Teilen der CDU gibt es hierzu keine Bereitschaft. Ein Schwarz-Schilling oder ein Heiner Geißler haben da natürlich andere Vorstellungen.
Peter Müller, der Chef der CDU-Zuwanderungskommission, hat erklärt, dass das Boot nicht voll sei, sondern „immer leerer“ werde. Das klingt doch sehr konträr zu vielen Äußerungen aus Kreisen Ihrer Partei.
Wenn Ministerpräsident Müller gesagt hätte, wir wollen die Defizite der Demografie vollständig durch Zuwanderung ausgleichen, dann wäre das in der Tat ein großer Gegensatz zu uns. Aber das hat er nicht gesagt. Da auch die Zuwanderer immer älter werden, würde Zuwanderung nichts Wesentliches am Alterungsprozess unserer Gesellschaft ändern. Das weiß auch die CDU.
Sie kritisieren ja bereits die momentane Zahl der Zuwanderer und wähnen dabei die deutsche Identität in Gefahr.
Das hat doch viel mit der Art und Weise der Zuwanderung zu tun. Derjenige, der als asylberechtigt anerkannt wird, aber auch derjenige, bei dem wir darüber streiten müssen, ob etwa eine nichtstaatliche oder geschlechtsspezifische Verfolgung vorliegt, sind nicht das Problem. Im Gegenteil, da kann man im Einzelfall großzügig sein. Probleme bereiten diejenigen, die nur mittels Lug und Trug nach Deutschland kommen und Herkunftsland, Identität und Fluchtweg verschleiern. Diesen Missbrauch muss man abstellen.
Sie wollen also großzügiger sein bei geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung?
In dem Augenblick, in dem man es schafft, das Problem des Missbrauchs besser zu lösen, bin ich in dieser Frage gesprächsbereit. Mit mir ist es jedoch nicht zu machen, in einigen Bereichen den Spielraum zu erweitern, ohne gleichzeitig in anderen Bereichen zu reduzieren.
Sie fordern die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl . . .
Die heutige Dauer der Asylverfahren von durchschnittlich einem Jahr in der ersten Instanz ist doch unerträglich. Auch unter humanen Aspekten ist es besser, jemandem spätestens nach sechs Monaten zu sagen, dass er wieder gehen muss, als erst nach zwei oder fünf Jahren. Wir brauchen eine andere Art und Weise des Verfahrens. An der materiellen Gewährung von Asyl wollen wir nichts ändern, das heißt, die Verpflichtung der Genfer Konvention übernehme ich zu 100 Prozent ohne jegliche Einschränkung. Natürlich bin ich auch Realist. Die Wahrscheinlichkeit, dies hier in Deutschland jetzt geändert zu bekommen, ist relativ gering.
Wie viele Zuwanderer brauchen wir? Ihr Unionskollege Schwarz-Schilling hat von 800.000 im Jahr gesprochen. Sind Sie da erschrocken?
Ich halte eine derartige Zahl nicht für hilfreich. Ein solcherFehler wie bei der Anwerbung der Gastarbeiter darf nicht wieder passieren. Die sind in großer Zahl angeworben worden und mussten sich entweder selbst integrieren oder gingen wieder zurück. Wir dürfen Zuwanderung nicht als Import billiger Arbeitskräfte verstehen. Es kann nicht sein, dass die Industrie und die Wirtschaft Zehntausende willige und billige Arbeitskräfte bekommen, die Gesamtgesellschaft aber die Folgen, zum Beispiel die Kosten der Integration, allein zu tragen hat. Die Interessen der hier lebenden Bevölkerung müssen Vorrang haben, deswegen wird die Quote momentan sehr, sehr klein sein. Immerhin haben wir eine hohe Arbeitslosigkeit, und mit der EU-Osterweiterung müssen wir mit einer ins Gewicht fallenden Migration von Arbeitskräften rechnen.
Für Ihre Aussage: Wir brauchen mehr Ausländer die uns nützen, als solche, die uns ausnützen, haben Sie Prügel bezogen. Fanden Sie das ungerecht?
Ich habe nichts anderes gesagt, als dass man bei der Zuwanderung in legitimer Weise die Interessen des eigenen Landes und der eigenen Volkswirtschaft zu berücksichtigen hat. Darin stimmen mir weit über 70 Prozent der Bevölkerung zu.
Warum haben Sie dann eine gelinde gesagt leicht missverständliche Formulierung gewählt?
In Bayern formulieren wir traditionell sehr deutlich.
Auch „deutsche Leitkultur“ war ein solcher Begriff, den Sie selbst als gefährlich, weil missverständlich bezeichneten.
Das Problem beim Begriff „Leitkultur“ besteht darin, dass gewisse Kreise diesen Begriff fehlinterpretieren und ihm einen nationalistischen Unterton unterstellen. Es geht aber hier nicht um einen Überlegenheitsanspruch. Aber derjenige, der sich auf Dauer bei uns aufhalten will, muss wissen, dass er sich in dieses Land eingliedern und einordnen muss. Voraussetzung dazu ist die Bereitschaft, die Sprache zu erlernen. Solche Spielregeln der Integration müssen zentraler Bestandteil eines Einwanderungsgesetzes sein.
Was tun wir Deutschen dafür?
Natürlich müssen wir entsprechende Möglichkeiten schaffen, aber wir brauchen auch wie in den Niederlanden obligatorische Integrationskurse. Wir können Integration nicht nur, wie es die Ausländerbeauftragte Beck tut, in das Belieben der Zuwanderer stellen. Man soll den Zwang nicht in den Vordergrund stellen, aber wie in vielen Bereichen des Lebens auch kommt man allein mit Überzeugungsarbeit nicht zu einer entsprechenden Breitenwirkung. Es müssen also obligatorische Kurse sein.
Einwanderung gibt es seit Bestehen der Bundesrepublik. Hat die Integration funktioniert?
Wir müssen uns hier nicht nur Asche auf das Haupt streuen. Vieles ist gut gelaufen, es gibt aber auch Bereiche, in denen wir noch viel tun müssen, z. B. bei bestimmten Zusammenballungen in Städten und Vierteln, in denen überwiegend Türkisch oder Russisch gesprochen wird. Wir müssen in den Stadtvierteln eine gemischte Struktur schaffen. Wir müssen die Geschwindigkeit der Integration erhöhen und dürfen Probleme nicht tabuisieren, sonst treiben wir die Bürger in die Arme der Rechtsextremisten. Weil wir das in Bayern nicht tun, hatten wir noch nie ernste Probleme mit Rechtsextremisten.
Noch nie? Die „Republikaner“ hatten bei den Europawahlen 1989 bayernweit stattliche 14,6 Prozent.
Das war eine Zeit, wo wir uns mit diesen Fragen nicht ernsthaft beschäftigten. Als wir das dann taten, haben wir dieses Problem schnell in den Griff bekommen.
Machen Sie denn Zuwanderung im Jahr 2002 zum Wahlkampfthema?
Die CSU wird dieses Thema nicht von sich aus zum Thema machen. Es wird aber durch eine ungeschickte Terminierung der Bundesregierung automatisch zum Wahlkampfthema. Wenn deren Ergebnisse im Juli vorliegen, wird eine breite Diskussion im September beginnen. Da wird dann zum ersten Mal die Opposition dabei sein. Die Mitglieder von uns, die in der Kommission mitarbeiten, sind alle nur von Schilys Gnaden dort hineinberufen worden und haben kein Recht, für die CDU oder die CSU zu sprechen.
Und Rita Süssmuth?
. . . spricht nicht für uns. Sie ist ja auch nicht von der CDU dorthin beordert worden. So weit sind wir noch nicht, dass Herr Schily bestimmt, wer für die CDU redet. Im Übrigen ist es keine Katastrophe, wenn das Thema in den Wahlkampf gerät. Ein Wahlkampf wird ja nicht über Nebensächlichkeiten geführt, sondern über Fragen, die den Bürger bewegen. Wenn die Regierung es gewollt hätte, dass das Thema kein Wahlkampfthema wird, hätte sie es vorher lösen müssen.
Wenn Sie jetzt Werbetexter wären: Welchen griffigen Slogan würde Ihnen bei diesem Thema einfallen?
Wenn mir ein Slogan einfallen würde, würde ich ihn nicht der taz verraten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen