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Phönix aus der Reisetasche

Storys aus dem China-Restaurant: Als neue Direktorin der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig zeigt Barbara Steiner Videoarbeiten, Piktogramme und Installationen des Austrochinesen Jun Yang

von STEFANIE TASCH

Dass Inszenierungen mit ihren Regisseuren zum nächsten Engagement wandern, ist nichts Neues. Auch Wanderausstellungen sind im Kunstbetrieb wohlbekannt. Dass Ausstellungen mit ihren Kuratoren ins nächste Museum ziehen, ist schon ungewöhnlicher: Barbara Steiner, seit Jahresbeginn Direktorin der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig, brachte als erste Ausstellung ihr letztes Projekt aus dem Kunstverein Wolfsburg mit.

Ob die beinahe wörtliche Wiederholung nach so kurzer Zeit kuratorisch weise ist, kann man getrost bezweifeln; dem Projekt hat die Verpflanzung allerdings nicht geschadet. „Coming Home. Daily Structures of Life – Version D.00“ von Jun Yang macht sich gut in den schön proportionierten white cubes der Leipziger Galerie. Der lokalen folgte die konzeptuelle Verschiebung: Zuvor standen die Arbeiten des 1975 in der ostchinesischen Provinz Zhejiang geborenen und in Wien aufgewachsenen Künstlers im Kontext einer Ausstellungsreihe, die sich mit der Konstruktion von Identität auseinander setzte. Nun soll es in Leipzig um verschiedene Aspekte des Lokalen gehen.

Bevor man der Kunst nun aber eine zu große Anpassungsfähigkeit an gerade gängige Themen vorhält, lohnt es sich, noch einmal genau hinzugucken. Gibt man der Versuchung nach, Biografie und Werk eins zu eins aufzurechnen, hat man es bei Jun Yang, Chinese von Geburt und Österreicher durch Entscheidung, der eine internationale Schule und je eine österreichische wie holländische Kunstakademie absolvierte, in der Tat mit einem perfekten Exemplar des nomadisierenden Künstlers zu tun. Eine Stilisierung, der Yang selbst nicht erliegt.

Seine Reflexionen zur Identität und zur Entwicklung eines „Heimat“-Begriffs jenseits konventioneller nationaler und monokultureller Verankerung rechnen mit der prekären Balance von Autor und Werk, und das Projekt „Coming Home. Daily Structures of Life – Version D.00“ distanziert sich schon im Titel vom allzu Persönlichen. Die kontinuierlich nummerierten Versionen sind Teil eines work in progress, das mit offensichtlich autobiografischem Material arbeitet, in dem das Erzähler-Ich aber anonym bleibt.

Die Videoarbeit ist der Ausgangspunkt, auf den sich in Leipzig alle anderen Exponate zurückbeziehen lassen. Sequenzen aus Hollywood-Filmen, die Chinarestaurants zeigen, wechseln mit Momenten, in denen bei schwarzem Monitor aus dem Off Yangs Kindheitserinnerungen an den Mikrokosmos des elterlichen Chinarestaurants in Wien zu hören sind.

Über dem Monitor schwebt eine chinesische Kassettendecke, in deren rot-goldenem Ornament Drache und Phönix (Symbole des Kaisers und der Kaiserin) um eine Perle (die Welt) kreisen. Übertragen aus der verlorenen Exklusivität der kaiserlichen Ikonografie in die Dekoration des globalen Exportschlagers „Chinarestaurant“, wurde das kosmische Spiel von Drache und Phönix zum Klischee; hier ist die Decke zugleich Metapher für das Stereotyp des Chinarestaurant-Kitsches und persönliches Erinnerungsstück.

Anders als Emigranten einer älteren Künstlergeneration, sei es Huang Yong Ping, Cai Guo-qiang oder der im vergangenen Dezember verstorbene Chen Zhen, die in China ausgebildet wurden und in ihren Arbeiten die Symbolik traditioneller Kultur mit ähnlicher Intensität einsetzen, sind für Yang die Zitate der chinesischen Kultur ebendies – Zitate.

Da für ihn das frühere China zunächst nur anhand von vagen Kindheitserinnerungen, den Erzählungen der Emigranten-Community und vor allem der Darstellung im Film ein Begriff war, erscheint auch das „Chinesische“ an Yangs Arbeiten fragmentiert, medial vermittelt und konstruiert. Rote Laternen, die zu den China-Restaurants dieses Planeten gehören wie der Zusatz „Peking“ zur Ente, sorgen im Lichthof zwischen Alt- und Neubau für die optische Querverbindung zwischen dem ersten und dem letzten Raum der Ausstellung.

Inhaltlich eng miteinander verknüpft, bekommen die Arbeiten durch einen sparsamen, für die Raumwahrnehmung des Betrachters jedoch entscheidenden Eingriff auch eine architektonisch schlüssige Verbindung: Der Innenwand zum Lichthof zwischen Alt- und Neubau der Galerie folgt auf zwei Dritteln der Raumhöhe ein zusätzlich installiertes Deckensegment, das über dem Türsturz des letzten Raumes als Baldachin hervorragt. Parallel dazu verläuft am Boden ein knallroter, an Hotelflure erinnernder Kokosläufer.

Yang löst einzelne Elemente seiner Erzählung in „Coming Home“ aus dem Zusammenhang, um sie als Einzelobjekt, als Wandtext, Piktogramm, Neon-Zeichen oder vorgefundenes Material zu präsentieren. Er benutzt die Sprache und die Ästhetik der Mobilität, der Flughäfen, der Lounges und der Safety-Cards, um ihre Unverbindlichkeit aufzubrechen. Wer viel reist, ist immer wieder fremd, aber die daily structures of life stellen Kontinuität her und lassen Heimatgefühle an fremden Orten entstehen. In der Welt der (Durch-)Reisenden erleichtern Piktogramme zwar die Orientierung, aber Jun Yang schickt Postkarten aus den Chinatowns dieser Welt, auf denen Schanghais zentrale Einkaufsmeile aussieht wie ihr eigenes Chinaklischee. Auf den zweiten Blick erkennt man Little Italy, dessen Restaurantwerbung ganz offensichtlich derselben Ästhetik des Exotismus verpflichtet ist.

Die Texte wiederum handeln von den Wirrnissen der Identitätszuschreibung in Zeiten freiwilliger wie unfreiwilliger Ortsungebundenheit. Da ist der österreichische Chinese, der in einem koreanischen Supermarkt in Los Angeles für einen Koreaner gehalten wird, oder der chinesische Österreicher in London, der dem in Deutschland lebenden Polen erklärt, dass er kein Japaner sei. Gleichzeitig verlangt eine Welt voller unerklärter Zeichen nach Vermittlung und respektvoller Hilfestellung: Neon-Piktogramme erläutern bei Yang das Essen mit Stäbchen oder bringen Klarheit in die Verwirrung der Grußsitten in Ost und West.

Dennoch bleibt immer klar, dass seine Arbeiten nicht zu einer vordergründig biografischen Interpretation taugen, die den Künstler auf seine ethnische Zugehörigkeit reduziert, ohne nach der spezifischen Qualität der Kunst zu fragen. Schließlich bietet Yang dafür mehr als genügend Zeichen an.

Bis 6. Mai, Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig

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