piwik no script img

Ein Spektakel der Extraklasse

MediaNight des Kongresses Hamburger Dialog: Gefeiert wird unter Polizeischutz, die Party ist hermetisch abgeriegelt, aber das stört längst nicht alle  ■ Von Peter Ahrens

Gottfried Böttger kann sich noch genau erinnern, in welcher Ecke das Klavier gestanden hat. Damals in den 60ern, als er als junger Pianist in den River Kasematten in die Tasten gehauen hat. Heute steht kein Klavier mehr in der Immobilie an der Hafenstraße, dafür sitzen vier Männer auf der Bühne in durchsichtigen aufblasbaren Plastikstühlen vorm Computer und machen „Tamagotchi Rock“, der sich aber so anhört wie Techno. Davor halten sich Medienleute am Sektglas fest und schaufeln das Essen vom Teller, das der Food Desig-ner aus London kreiert hat. Hinter der Bühne ist eine Glaswand, so dass man nach draußen auf die Elbe und umgekehrt von draußen herein gucken kann. Und wenn die Partygäste durch die Glaswand nach draußen schauen, dann sehen sie ganz viele PolizistInnen. Ein paar hundert Meter rund um die Party ist alles abgeriegelt. Feiern unter Polizeischutz – die MediaNight des Medienkongresses Hamburger Dialogs am Montagabend – „ein Spektakel der Extraklasse“, wie die Kongressbroschüre verspricht.

Während draußen die Leute gegen die feine Veranstaltung – Eintritt 100 Mark – protestieren, macht Wirtschaftssenator Thomas Mirow (SPD) in guter Laune. „Ich begrüße Sie an diesem Ort, der so global ist wie vielleicht kein anderer“, macht er in fröhlichem Willkomm. Die Polizeikette, die die Party abschirmt, erwähnt er mit keinem Wort. Gottfried Böttger steht im Publikum und sagt: „Man hätte die Party an jedem anderen Ort machen können, aber nicht an diesem.“ Die MediaNight ausgerechnet am Fuß der Hafenstraßenhäuser und ausgerechnet in Räumen auszutragen, die dem Flora-Käufer Klausmartin Kretschmer gehören – das findet er schon „reichlich unsensibel“.

Nur wer Eintrittskarte oder Ackreditierung für den Kongress hat, wird durch die Polizeikette durchgelassen, darf rein in den Glaskasten. Von außen sieht man sie stehen und sich zuprosten. „Ich komme mir vor wie im Zoo“, sagt eine und dass „sie sich reichlich snobistisch“ fühle. Warum protestiert wird – die meisten haben keine Ahnung, „hat wohl irgendetwas mit der Hafenstraße zu tun“. Das Inte-resse, die Hintergründe kennen zu lernen, hält sich in Grenzen.

Feierlaune? Bei Anja Hajduk, der GAL-Bürgerschaftsabgeordneten, will sie nicht aufkommen. „Wenn man zum grünen Kosovo-Parteitag nach Bielefeld fährt, dann erwartet man, dass es draußen Protest gibt. Aber zum Feiern sich von der Polizei schützen zu lassen“, beklemmend sei das. Einer findet die ganze Veranstaltung unter diesen Vorzeichen „nur beschissen“, aus Stuttgart ist er hochgereist, hat von der Roten Flora mal gehört und findet es „eine reine Provokation“, in so einem armen Stadtteil das durchzuziehen: „Das Fingerspitzengefühl der Veranstalter verdient die Note sechs minus.“ Die Atmosphäre: „Gespenstisch.“

Andere tun sich leichter. Das Essen ist lecker, die Musik gefällt, der Abend eine Illusion von Frühling, es gibt Prosecco. „Klar, in Hamburg gibt es eben noch ein paar Aktivisten, na und, davon lassen wir uns doch die Party nicht versauen.“ Einer fällt ein, dass sie das Szenario an die 80er Jahre erinnert, Studium in Göttingen, „damals war man ja tendenziell selber eher auf der Seite der Protestierer“, heute hat sie kein Verständnis und macht E-Commerce. Eine musste sich von Protestlern anmachen lassen, „ob ich jetzt Ghetto-Touristin würde“. Sie sagt: „Ich will mir doch nur einen netten Abend machen.“ Sie zuckt hilflos mit den Achseln. Ein paar hundert Meter weiter prügeln sich Polizei und DemonstrantInnen. Die Veranstaltung heißt Hamburger Dialog.

Die verantwortliche Event-Agentur weiß am nächsten Tag, dass „die Gäste mit dem Catering und dem Service sehr zufrieden waren“. In der Wirtschaftsbehörde ist man der Meinung, dass „es doch schließlich keine Bannmeile für gut Verdienende, die feiern wollen, am Hafen geben“ könne. Holger Pütting von der Event Agentur weist noch darauf hin, dass man die Räume längst ausgesucht habe, bevor der Flora-Verkauf an Kretschmer ruchbar wurde, und ohnehin sei das Reden von der piekfeinen Veranstaltung für ihn nicht ganz nachvollziehbar: „Es gab nicht einmal Champagner.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen