: In Gold geölt
Zwischen historischer Recherche und psychedelischem Jetztzeitpop: „Der König tanzt“ von Gérard Corbiau zeigt Barock als Choreografie der Macht
von HARALD FRICKE
Der Staat wankt nur einmal. Aber es ist auch ein ziemlich komplizierter Sprung, den sich Ludwig XIV. vorgenommen hat. Ganz in Gold und gut geölt versucht sich der überaus athletisch strahlende Benoît Magimel als tanzender König an einer mehrfachen Drehung, bis er über seine eigenen Füße stolpert. Der Knöchel knirscht, noch steht der Roi, aber das Fest, das seine Grazie und körperliche Herrlichkeit feiern sollte, ist vorbei: Nie wieder wird der Sonnenkönig nach dem Debakel von „Les Amants magnifiques“ ein Ballett anführen. Einen Bruch mit der politischen Linie, Kunst und Macht in kulturellen Spektakeln zu vereinen, gibt es trotzdem nicht. Doch der Stern von Jean-Baptiste Lully (Boris Terral), dem ersten Komponisten am Hofe, wird nie wieder so hell leuchten wie bisher. Der König sitzt, der Tanz geht unter.
Nach dem Tod von Ludwig XIV. stand Frankreich 1715 vor dem Staatsbankrott. Lully starb fast 30 Jahre vorher an Blutvergiftung – und an gebrochenem Herzen. Diese Szene bildet den Einstieg für Gérard Corbiaus Erkundungen des Barock. Es ist eine Liebestragödie par excellence: Weil der König nicht zur Matinee gekommen ist, in der Lully ihm zu Ehren das Tedeum gibt, schlägt der verzweifelte Musiker den Takt immer heftiger mit einem Handstock auf den Boden, bis der Stab seinen Fuß durchbohrt. Um sein Leben zu retten, soll ihm das Bein abgenommen werden, doch der rasende Komponist schreit nur: „Nein, nicht das Bein eines Tänzers!“ Danach spielt sich seine Karriere im Fieber als Weg nach unten ab – gehetzt, kaleidoskopisch, bruchstückhaft und opulent; ein bisschen dark und größenwahnsinnig wie Klaus Kinskis „Paganini“.
Natürlich ist bei solchen überkandidelten Künstlerbiografien der Grat zwischen historischer Recherche und psychedelischem Jetztzeitpop immer schmal. Man kennt das aus Milos Formans „Amadeus“-Verfilmung, und auch Ken Russells „Lisztomania“ war mehr Sixties-, Sex- und Lizard-King als „Polonaise in E“. Für diese Ekstasen hat Corbiau zwar auch ein paar Kameraschwenks über hochgebauschte Röcke und orgienbegeisterte junge Körper beiderlei Geschlechts übrig, an denen Lully das eine oder andere Mal schleckt.
Viel wichtiger war dem Regisseur von „Farinelli“ allerdings das Zusammenspiel aus höfischer und künstlerischer Intrige. Indem der Komponist seine gesamten Anstrengungen auf die Verherrlichung des Lebens seines Königs setzt, versucht er, sich in dessen inszenierter Anmut selbst ein wenig zu spiegeln. Nebenbei wächst der Einfluss des Musikers über alle anderen Künste: Die Gunst von Ludwig XIV. erlaubt es Lully, den Komponisten Cambert aus dem Amt zu vertreiben, und schließlich muss sich auch der sanfte Molière (Tcheky Karyo), mit dem er für den König satirische Singspiele schreibt, dem Alleinanspruch der Musik beugen.
Für Lully ist der Text zum „Bürger als Edelmann“ nur wegen der Melodie zu ertragen. Was immer die Worte sagen, der Klang macht mehr daraus, heavenly voices sozusagen, die näher ans Ohr des Herrschers drängen als bloß heruntergebetete Sätze (tatsächlich war Ludwig XIV. sogar an Molières Stücken als Autor beteiligt). Das ist der Beginn einer wunderbaren Staatskunst, und auch für Klaus-Theweleit’sche Fragestellungen sehr relevant – noch ein Orpheus treibt sich da am Machtpol herum, 50 Jahre nach den Opern von Monteverdi.
Tatsächlich gibt es im Film visuell reichhaltige Verbindungen, weit über die Textexegese in Theweleits „Buch der Könige“ hinaus. Da ist neben dem sehr kräftig schillernden, homosexuellen Subplot, der permanent Männer bei Hof oder im Garten miteinander paart, eine Parallele zur Astronomie, deren mathematische Akkuratesse schon zu Monteverdis Zeit auf die Kompositionsformen einwirkte. Überhaupt bevorzugt Ludwig XIV. die Geometrie als Ausdruck absoluter Ordnung – wie im Garten von Versailles, so auch bei den Partys und Feuerwerken, bis in die Organisation der Soldaten während der Eroberungskriege Frankreichs.
Dass sich die politische Strategie im Tanz manifestiert, wird 150 Jahre später auch Friedrich Schiller in seiner „ästhetischen Erziehung des Menschen“ berücksichtigen. Nun ist es nicht mehr der König, der einsam seine Pirouetten dreht, sondern die ganze Gesellschaft, die miteinander tanzt, ohne dass ein jeder dem anderen in die Quere kommt. Lully selbst hätte sich für diese neue Mode nicht begeistert, bis kurz vor seinem Tod schrieb er zuletzt fast ausnahmslos religiöse Werke.
„Der König tanzt“. Regie: GérardCorbiau. Mit: Benoît Magimel, BorisTerral, Tcheky Karyo u. a. Frankreich2000, 115 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen