: Mammut-Projekt mit Sahnehäubchen
■ In Arbergen und Mahndorf soll ab 2007 ein 650 Hektar großes Gewerbegebiet und eine Trainingsrennbahn für Pferde entstehen / Die Anwohner sind stinkesauer
Ganz sicher liegt an diesem Abend ein Hauch von Startbahn West, Wackersdorf oder Gorleben über der kleinen Kirche St. Johannis in Arbergen. Es riecht nach Aufruhr, nach Stunk. Schließlich geht es um die Zukunft von Arbergen und Mahndorf. Um ganz Bremen. Und um die Zukunft der Marsch. Pastor Friedhelm Blüthner stellt sich vor die hundert Protestler. Was er dann sagt, klingt wie die Worte eines Erlösers: „Wir verkaufen nicht. Und wir haben 20 Hektar!“ Tosender Beifall. Die Marsch steht auf.
20 Hektar sind zugegeben nur ein kleiner Teil der sagenhaften 650 Hektar, die der Senat demnächst als „Gewerbepark Hansalinie“ ausweisen will. Aber an diesem Diskussionsabend sind 20 Hektar, zusammen mit den Flächen der fünf anderen Besitzer, die ihre Wiesen und Weiden nicht verkaufen wollen, ein Symbol für den Widerstand der Marsch. Fraglich nur, ob der Widerstand noch etwas bringt.
„Dann kann ich ja ausziehen“, ruft einer, als Robert Lemmen vom Planungsamt vom neuen Autobahnanschluss spricht. „Der wohnt hier nicht“, höhnen die anderen, als Joachim Schuster, umweltpolitischer SPD-Sprecher, betont, die Koalition sei noch in der Lage, das Mammut-Projekt zu stoppen.
Vier Kilometer lang soll sich die Hansalinie auf einer Breite von 1,2 Kilometern ab 2007 durch die Marsch ziehen. Doppelt so groß wie Bremens Innenstadt, quasi die Strecke von der Stephanie- zur Erdbeerbrücke. Ein Monster-Ding mitten im Naturschutzgebiet. Und nicht zu vergessen: Das Sahnehäubchen des Senats, die neue Trainingsrennbahn für Pferde am Mahndorfer See. Noch mal 50 Hektar. Mit einem Hotel, Wohnungen und Stallungen für 240 Pferde. Trockener Kommentar aus dem Publikum: „Das stinkt!“ Immerhin hat eine Parzelle in Besitz der Kirche hier schon zu Umplanungen geführt.
Gewerbegebiet Hansalinie: Der Senat lockt mit 35.000 Jobs und 40.000 Neu-Bremern, Gisela Lohse-Trommsdorff von der Bürgerbewegung meint, da „wollen sich ein paar Leute ein Denkmal setzen, vielleicht mit einer ,Scherf-Hattig-Allee'?“
In der Sprache der Strategen hört sich alles ganz anders an. Lemmen, der Mann vom Planungsamt, preist tapfer sein „Gewerbeband mit grünen Zäsuren und zwei Seen.“ Dienstleister und Logistikfirmen könnten sich hier direkt an der Autobahn ansiedeln. Als Ausgleich will er den Deich nach hinten verlegen, zum Fluten und zur „Naherholung“. „Eine Stadt hinterm Deich“ soll in fünf Bauabschnitten entstehen. Mit den ersten beiden Bauabschnitten könnte schon dieses Jahr begonnen werden – „aber die Grundstücke sind noch nicht da.“ Alles Teil des Bremer Strukturwandels, auch in Konkurrenz zum lieben Nachbarn Niedersachsen.
Aber Lemmen hat keinen leichten Stand. Genau wie Frank Imhoff von der CDU. „Wir in Bremen müssen die Angebotspolitik vorantreiben. Auch Arbeitsplätze sind ein Stück Lebensqualität!“ Murren im Publikum. Imhoff legt drauf: „Nur so können wir Firmen in Bremen halten.“ Zwischenruf: „Und Menschen verlieren!“
Technologie- und Büropark, Hemelinger Marsch, Airport City, Vulkan-Gelände: Bremen habe „genug leerstehende Gewerbeflächen“, betont Grünen-Fraktionschefin Karoline Linnert. Die Bremer Investitionsgesellschaft, derzeit nach Gutsherrenart auf Flächen-Einkaufstour, habe „zu viel Einfluss“ in der Stadt ohne das Votum der Wähler bekommen. Und: „Der Gewerbepark ist der Freifahrtschein für eine einseitige Entwicklung Bremens.“ Schließlich sei die Lage der „Hansalinie“ im Bremer Osten völlig verfehlt: „Moderne Firmen wollen nicht in die Pampa, deren Mitarbeiter wollen in der Mittagspause in der Innenstadt bummeln gehen.“
Und überhaupt, die Jobs. Linnert glaubt nicht dran: „Der größte Teil der Ansiedlungen werden Umsiedlungen aus Bremen sein. Die Stadt stirbt mit dieser Strategie langsam aus.“ So schlimm sei das doch alles nicht, versucht SPD-Mann Schuster die Menge zu beruhigen. Das Gewerbegebiet werde modern und sauber aussehen, etwa wie Universität oder Technologiepark. Dann springt ihm CDU-Kollege Imhoff bei: „Irgendwo tut es immer einem weh. In dem Falle sind sie das. Das tut uns herzlich leid.“ ksc
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