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Sehnsüchtig normal

Zwischen literarischen Beziehungsproblemen und Israels politischer Wirklichkeit: Über die Lesereise der Schriftstellerin Zeruya Shalev

von ANGELIKA OHLAND

Zeruya Shalev hat nie gern über Politik gesprochen. Und geschrieben hat sie darüber schon gar nicht. Shalev ist Spezialistin fürs Private. Ihr Forschungsgebiet liegt hinter geschlossenen Türen, dort, wo Mann und Frau, wo Mutter, Vater, Kind das Paradies suchen und die Hölle finden. Was sollte eine Anatomin für Beziehungen schon zu Krisenmanagement und Friedensverhandlungen sagen? So hat sie gedacht und war genervt, wenn sie im Ausland dauernd auf Scharon angesprochen wurde – bis vor ein paar Tagen. Da hat Zeruya Shalev ihre Meinung geändert: „Ich kann nicht mehr fliehen.“

Die israelische Autorin, die mit ihrem gerne als Erotikschocker wahrgenommenen Roman „Liebesleben“ in Israel wie bei uns ein Star wurde, hat Angst. Zum Beispiel, wenn sie ihren Sohn in den Kindergarten bringt. Wer weiß schon, wo die nächste Bombe hochgehen wird? Shalev lebt in Jerusalem, zehn Minuten vom Zentrum entfernt. Doch für ihre Einkäufe bevorzugt sie Läden am Rande, und wenn sie etwas aus der Apotheke braucht, geht sie dorthin mit schnellen Schritten, weil der Weg an einer Bushaltestelle vorbeiführt.

Wenn Zeruya Shalev, die in dieser Woche durch deutsche Literaturhäuser tourt, also neuerdings doch über Politik spricht, dann klingt sie bitter. Der Glaube, dass Arafat wirklich den Frieden will, ist ihr mit der letzten Intifada abhanden gekommen, und jetzt sieht sie keinen Ausweg mehr. In ihren beiden Romanen allerdings ist von diesen Konflikten an keiner einzigen Stelle die Rede. Nur die unterschwellige Spannung und der Pessimismus ihrer Figuren zeugen davon. Ansonsten könnten diese Paare genauso gut in New York oder Berlin leben. Und das ist für die junge, erfolgreiche Autorengeneration in Israel durchaus typisch: Die Literatur will offenbar eine Normalität erzwingen, die ihren Autoren in der Wirklichkeit versagt bleibt.

„Wir haben die Konflikte satt“, sagt Shalev, „wir interessieren uns für Familie, Kinder und Beziehungen.“ Beziehungen wie die zwischen der jungen, verheirateten Ja’ara und dem alternden Zyniker Arie, der einst mit ihrer Mutter ein Verhältnis hatte. Die Mischung aus Sex, Hörigkeit und Selbstbefreiung hat „Liebesleben“ zum Bestseller gemacht. Oder Familien wie die von Udi, Na’ama und ihrer Tochter Noga in Shalevs zweitem Roman „Mann und Frau“: Mit zwölf hat sich das Paar kennen gelernt, eine Sandkistenliebe fast, mit vierzig zerbrechen sie aneinander. Eifersucht, Schuldgefühle, verdrängte Wünsche haben das Paar zermürbt. Eines Morgens wacht Udi auf und ist gelähmt. Na’ama würde alles für seine Heilung und die Rettung ihrer Ehe tun. Doch Udi zieht schließlich mit der esoterischen Heilerin, die Na’ama ihm empfohlen hat, davon.

„Mann und Frau“ ist wesentlich psychologischer angelegt als das radikale und rätselhafte „Liebesleben“. Und wenn man sieht, wie die Zuhörer und vor allem Zuhörerinnen Shalev bei den Lesungen ergeben an den Lippen hängen, dann hat man das Gefühl, dass dieser zweite Roman nicht nur als Literatur, sondern eben auch als Lebenshilfe wahrgenommen wird. Auch die Gesprächsfetzen im Publikum einer Lesung im Hamburger Literaturhaus kreisten um Erfahrungen in der eigenen Ehe und mit Männern überhaupt.

Das ist legitim, wird Shalev aber natürlich nicht gerecht, auch wenn ihr zweiter Roman diese Lesart in manchen Passagen durchaus nahe legt. Sie greift genauso kurz wie die Reduktion auf den prallen Sex. Wenn Shalev sagt, dass Sex nicht die Hauptsache sei, dann heißt das nicht etwa, dass sie sich irgendwie winden würde. „Für mich ist es so leicht, über Sex zu schreiben!“, sagt sie und klingt dabei nicht einmal kokett. Letztlich ist der Sex Mittel zum Zweck. Er hilft, wenn auch auf Umwegen, vor allem den Frauen, wieder ein Gefühl für die eigenen Bedürfnisse zu entwickeln.

Natürlich reden trotzdem alle über diese Sexszenen, auch in Shalevs Familie. Als sie ihrem Vater ihr erstes Buch zum Lesen gab, hatte die Mutter vorsorglich die pikanten Stellen markiert, damit er darüber hinweglesen könne. Angeblich hat er sich an diese Anweisungen gehalten. Die Familie ist übrigens ein wahres Literatennest: Der Vater ist ein renommierter Literaturkritiker, der Bruder Anev und der Cousin Meir sind Schriftsteller – wie auch ihr dritter Ehemann. Und so hat sich niemand gewundert, dass der Vater der vierjährigen Zeruya vor dem Einschlafen statt „Hänsel und Gretel“ Kafka und die Bibel vorgelesen hat.

Zeruya – so hieß auch die Schwester des Königs David – fand die Geschichten klasse. Später dann hat sie Bibelwissenschaften studiert. Ihre Romane sind gespickt mit Anspielungen und Zitaten aus dem Alten Testament, die sich in ihrer Poesie wie in ihrer Brutalität ganz natürlich einfügen. Mag das Politische auch fehlen, ohne Bezug zu dem Land Israel sind Shalevs Bücher also nicht. Nur ist der Bogen weit gespannt. Dabei fließen Tradition und modernes Großstadtleben so selbstverständlich ineinander, dass man den archaischen Bodensatz vor lauter Sex und Beziehungsproblemen leicht unterschätzen kann.

Wenn man sich in Shalevs Romanen ganz und gar in der Gegenwart fühlt, hat das noch einen anderen Grund: Der Holocaust und das Thema der „zweiten Schuld“ – damit ist die Weitergabe des Traumas durch die Eltern an die Kinder gemeint – kommen hier nicht vor. Shalevs Eltern wurden bereits in Israel geboren und die Familie hat deshalb keine Opfer zu beklagen. Trotzdem sagt Shalev, dass die meisten ihrer Albträume vom Holocaust handeln – und nicht etwa von den Abgründen zwischen Mann und Frau.

Zeruya Shalev: „Mann und Frau“. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, Berlin 2001. 400 Seiten, 39,80 DM

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