UKRAINISCHER PREMIER WURDE ENTMACHTET, UM PFRÜNDEN ZU SICHERN
: Allianz der Raffgier

Was tut man, wenn eine Regierung den eigenen Interessen im Wege steht und der Verlust von Pfründen droht? Man sägt die Regierung ab. Insofern ist das erfolgreiche Misstrauensvotum nur folgerichtig, das gestern die ukrainische Regierung zu Fall brachte. Schließlich ging es bei dem Votum, das Kommunisten und Vertreter des Big Business einträchtig abgaben, am allerwenigsten um eine Bewertung des Kabinettes von Premierminister Wiktor Juschenko. Denn der kann auf ganz beachtliche wirtschaftspolitische Erfolge verweisen – und hat darüber hinaus den Kampf gegen die Korruption aufgenommen. Allerdings wurde er genau dadurch gefährlich; so ließ sich die Anti-Juschenko-Allianz die Chance nicht entgehen, ihn zu entlassen – mit dem Ziel, über eine genehme, willfährige Regierung ihre Machtposition auszubauen. Den eigenen Nutzen und das eigene Bankkonto zum Maßstab zu machen: Dieser Charakterzug dominiert leider auch nach zehn Jahren Unabhängkeit immer noch das politische Leben in der einstigen Sowjetrepublik.

Der jüngste Coup könnte die Ukraine, die sich seit Monaten in einer Dauerkrise befindet, erneut erschüttern. Immerhin erfreut sich Juschenko, einer der wenigen noch vorzeigbaren ukrainischen Politiker, zu Hause wachsender Beliebtheit. Sein unfreiwilliger Abgang dürfte die Massenproteste weiter verstärken, die sich bis jetzt noch in erster Linie gegen Präsident Leonid Kutschma richten. Zudem wird der Regierungswechsel das Engagement westlicher Geberstaaten nicht unbedingt fördern.

War Juschenko schon bisher ein gefährlicher Rivale für den Präsidenten – so dürfte er jetzt noch gefährlicher werden: Denn so kalt abserviert könnte der Expremier zu einer Galionsfigur der Opposition avancieren. Keine gute Nachricht für Präsident Kutschma, der sowieso schon angeschlagen ist und dem vorgeworfen wird, in den Mord an dem Journalisten Georgi Gongadse verstrickt zu sein. Die weitere Entwicklung in der Ukraine ist völlig offen. Aber eins steht fest: Der gestrige Tag wirft das Land zurück. BARBARA OERTEL