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Kanzler für eine stärkere EU

Schröder schlägt in einem Entwurf für den SPD-Parteitag eine europäische Regierung vor. Ministerrat könnte zur zweiten Kammer werden. Budgethoheit für das Parlament

BERLIN taz ■ Franz Müntefering, der SPD-Generalsekretär, hatte es vor Weihnachten angekündigt. Das Thema EU sei so wichtig, dass der Parteichef Gerhard Schröder höchstpersönlich den Antrag schreiben werde. Nun sind, offenbar gezielt, erste Einzelheiten eines Entwurfs für den SPD-Parteitag im November in Nürnberg herausgesickert.

Wie der Spiegel in seiner neuesten Ausgabe berichtet, schlägt Schröder vor, die EU-Kommission in Brüssel in eine europäische Regierung umzuwandeln. Zudem soll ein Zwei-Kammer-System eingeführt werden, wobei der Ministerrat zu einer Art Bundesrat mutieren soll. Im Ministerrat, in der Vertreter aus den Mitgliedsstaaten sitzen, werden derzeit die wichtigsten Beschlüsse der EU gefällt. Nach dem Entwurf des Leitantrages würde das bislang relativ einflusslose Europaparlament in Straßburg die volle Budgethoheit erhalten – darin miteingeschlossen auch über den Agraretat. Damit hätten die Abgeordneten das Recht, über den mit 46 Prozent größten Haushaltstitel mitzuentscheiden und gegebenenfalls neue Akzente in der Agrarpolitik zu setzen. Als Ausgleich für den Machtzuwachs des Parlaments will Schröder offenbar andere Kompetenzen den Mitgliedsstaaten wieder zurückgegeben – um welche es sich dabei handelt, ist unklar, solange der Entwurf nicht in Gänze vorliegt.

Das SPD-Präsidium wird sich offiziell am 7. Mai mit dem Antrag beschäftigen. Allerdings wurde in SPD-Kreisen erwartet, dass sich Müntefering nach der heutigen Sitzung des Präsidiums äußert. Er gehört einer Arbeitsgruppe zum Leitantrag an, in der Schröder und Verteidigungsminister Rudolf Scharping sitzen. Im Aufbau eines künftigen europäischen Staatsgebildes folgt der Kanzler offensichtlich Überlegungen, die Bundespräsident Johannes Rau kürzlich in einer viel beachteten Rede vor dem Straßburger Parlament vorgetragen hatte. Vorschläge zu einem Zwei-Kammer-System hatte auch Außenminister Joschka Fischer vor geraumer Zeit gemacht. Nach dem Leitantrag Schröders, dessen gestern veröffentlichte Elemente in Berlin in der SPD-Zentrale bestätigt wurden, könnte ein europäischer Staatschef von beiden Kammern gewählt werden oder müsste zumindestens die Zustimmung beider erhalten.

Der CDU-Europaabgeordnete Brok begrüßte unterdessen in der Berliner Morgenpost Schröders Vorschläge. Wenn es zu den geforderten Veränderungen komme, „können die Minister bei ihren Ratstreffen nicht mehr machen, was sie wollen“. In einer Staatenkammer wäre die Debatte öffentlich und von jedem Bürger zu verfolgen. Nicht zu verwirklichen sei die Vorstellung, die Strukturförderung abzuschaffen und in die nationalen Befugnisse zurückzuverlagern.

SEV

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