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Die Leinwand ist geduldig

Kiffen, bis der Leonardo kommt: Jan Jochymski hat im Prater der Volksbühne aus Danny Boyles Film „The Beach“ ein Theaterstück gemacht

Die versprochene blaue Lagune, mit der die Presseankündigung Neckermann-mäßig für die neue Produktion in den Volksbühnenstudios geworben hatte, entpuppte sich als trübe Pfütze, in der man sich nicht einmal ertränken konnte. Allerhöchstens sprudelten hier mal ein paar Tabletten Badesalz. Sonst waren die Aussichten nicht sehr prickelnd. Bloß wälzen ließ es sich in diesem Tümpel leidlich. Was ja naturgemäß nicht abendfüllend ist. Bert Neumanns Wüstenlandschaft mit den rostroten Marlboro-Schluchten hat sich in Jan Jochymskis Bühnenfassung von „The Beach“ auch auf das Hippie-Gewand ausgebreitet, das Daffy Duck einhüllt. Sensorisch hatte sich die Bühne sogar bis in die Geruchszone vorgearbeitet, wo heftigster Cannabisduft für die atmosphärisch intensivsten Eindrücke des Abends sorgte.

Daffy Duck, das war jener Extremurlauber aus Danny Boyles Verfilmung von Alex Garlands Roman „The Beach“, den Leonardo DiCaprio noch ziemlich am Anfang des Films mit aufgeschnittenen Pulsadern in einem Hotelzimmer in Bangkok findet. In der Nacht zuvor hatte Daffy ihm eine geheimnisvolle Karte in die Hand gedrückt, die den Weg zu einer paradisischen Insel wies. Dort fand Rich bald endlose Cannabisfelder und eine Aussteigerkommune, die sich bei näherem Hinsehen als ziemlich Grauen erregendes Freiheitsgefängnis entpuppte.

In Berlin, wo das Meer weit und die Bühne geduldig ist, ist Daffy (seine knarzige Reinkarnation spielt Alexander Schröder) nun wieder auferstanden, bloß weiß man nicht, wieso. Die Karte hat er natürlich auch dabei. Auch diesmal gibt er sie Rich (Bastian Trost), der noch ein bisschen babygesichtiger ist als Leonardo DiCaprio. Rich ist von einer Leinwand im Hintergrund herabgestiegen, wo man ihn vorher mit mitteleuropäischer Pudelmütze in irgendeiner Großstadt, doch auf keinen Fall in Bangkok, ankommen sah: aus dem Off eben jene Erlebnisaufsatz-haften Sätze sprechend, mit denen auch der Film beginnt – der ja ein einziger verfilmter Erlebnisaufsatz ist und dabei so tut, als würde er dem ganzen westlichen Erfahrungshunger die Maske vom Gesicht reißen. Dieser Film mit seiner halbfertigen Multimedia-Schiene, in der DiCaprio sequenzweise auch zum Helden eines Computerspieles wird, was irgendwie verdeutlichen soll, dass es zwischen den Erfahrungen, die Game-Boy-Spiele vermitteln und dem so genannten wirklichen Leben längst keinen Unterschied mehr gibt – dieser Film also, der so gerne Kultfilm geworden wäre, gäbe trotzdem eine Menge Stoff für das Theater.

Aber Jochymski hat das gar nicht interessiert. Außer ein paar schlechten Scherzen hatte er dem Film nichts hinzuzufügen. Die hohlsten Szenen werden parodiert, die dämlichsten Dialoge augenzwinkernd nachgespielt und ansonsten fröhlich herumimprovisiert. Im Hintergrund hat Chris Kondek in Videos Motive aus dem Spielfilm aufgegriffen und variiert.

Manchmal gibt es Schwarz-Weiß-Bilder von dem, was gerade auf der Bühne geschieht. Und man macht die Erfahrung, dass noch die schlechteste Live-Szene auf der Leinwand eine merkwürdige Intensität gewinnt. Und das gibt einem für die Zukunft des Theaters dann doch ziemlich zu denken. ESTHER SLEVOGT

Die nächsten Aufführungen: 4., 14. und 15. Mai, jeweils 20.00 Uhr. Prater, Kastanienallee 7-9, Prenzlauer Berg

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