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Rosa Fest im Land der Gefeuerten

Bei der ersten „Pinkslip-Party“ in Berlin suchen gekündigte Beschäftigte von Internetfirmen einen neuen Job. Die einst gefeierte Branche erlebt ihre erste heftige Krise – nun machen sich die Verlierer selber Mut: „Man darf das nicht so dramatisch sehen“

„Die Leute sollen merken, dass man mit Jobverlust gelassen umgehen kann“

von RUPERT WIEDERWALD

Frank Lichterberg vom Bundesverband der deutschen Internetwirtschaft wartet. Er wartet auf seinen Stargast. Doch der sitzt noch im Flugzeug. Unternehmensberater Alex Vieux soll geradewegs aus dem Silicon Valley in Kalifornien einschweben, wo er die Chefs der wichtigen Software-Firmen allesamt persönlich kennt.

Vieux muss der versammelten Gemeinde auf der ersten Party für Geschasste und Gefeuerte der deutschen Internetbranche in Berlin Mut zusprechen. Die sogenannten „Pinkslip-Parties“ sind der neueste Trend aus der amerikanischen Heimat des schnelllebigen Kapitalismus – benannt nach den rosa Umschlägen der Kündigungsschreiben. Die Entlassenen der Internet- und IT-Branche sollen die Möglichkeit bekommen, potentielle neue Arbeitgeber in einem zwanglosen Rahmen kennen zu lernen.

Weil Vieux nicht rechtzeitig erscheint, muss Veranstalter Lichterberg erst mal selber ran: „Die Leute sollen merken, dass man mit Arbeitslosigkeit gelassen umgehen kann, denn es gibt genug offene Stellen.“ Wohlgemerkt spricht er nicht von der klassischen Arbeitslosigkeit, sondern von der, die in den Betrieben der New Economy zurzeit auftritt. Die einst hochgejubelte neue Internetbranche steckt in ihrer ersten ausgewachsenen Krise. Alleine die deutschen Internetunternehmen haben laut einer Studie des Start-up-Zirkels Silicon City Club in diesem Jahr 6.000 Beschäftigten gekündigt.

Zu ihnen gehört auch Peter Klaue. Der vierzigjährige Ingenieur sattelte nach zehn Jahren im Druck und Verlagswesen um auf die vermeintlich spannendere Internetbranche. Beim Shoppingportal Dealtime.com nannte er sich neun Monate lang „Country Manager France“, um sich dann nach dem geplatzten Börsengang im Januar ohne Job wieder zu finden. „Man darf das nicht so dramatisch sehen“, sagt Klaue, fest davon überzeugt, bald wieder in Lohn und Brot zu sein, „die Umwälzungsgeschwindigkeit in diesem Bereich ist einfach viel schneller.“ Er will trotz der schlechten Erfahrung weiter in der neuen Ökonomie arbeiten. „Dieser Bereich bietet einem Möglichkeiten, von denen man in klassischen Unternehmen nicht einmal zu träumen wagte.“ Geld kann er damit nicht meinen, denn, da sind sich alle einig, bezahlt wird oft eher kärglich in dem hippen Business.

Für Antje und Kerstin ist genau das das Problem. Beide arbeiten bei einem Internet-Start-up, dessen finanzielle Lage „eher angespannt“ sei. Sie erhoffen sich von der Pinkslip-Party neue Kontake, „am besten zu einem Unternehmen aus den klassischen Bereichen“. Denn nach einigen Jahren mit der Ungewissheit, wie viel der Arbeitgeber am Ende des Monats zu zahlen beliebt, steht Sicherheit ganz oben.

Glaubt man den anwesenden Personalberatern, dann sind New-Economy-Beschäftigte sehr interessant für die Vertreter der klassischen Wirtschaft: „Die machen ihre Schwäche zu ihrer Stärke, und das imponiert“, sagt Jens Hildebrandt von der Bankgesellschaft Berlin. Der Systemadministrator Frank Adler will gar keinen neuen Job, sondern erst mal nur seinen Marktwert austesten. Nach einigen Runden ist er allerdings schon bedient: „Das ist ja mehr eine Medienveranstaltung als alles andere.“ Und tatsächlich: Jeder jobsuchende Pinkslipper wird umringt von Kamerateams, Fotografen und Reportern, den Personalberatern ergeht es genauso. Eine junge Frau von Siemens antwortet auf die Frage, wie viele Gespräche sie denn schon geführt habe: „Fünf, drei davon mit der Presse.“ Für Jobsucher Peter Klaue scheint sich der Abend trotzdem gelohnt zu haben. „Ein interessantes Gespräch habe ich führen können, morgen schicke ich meine Bewerbungsunterlagen los.“

Irgendwann sitzt dann doch noch ein kleinerer Herr auf dem Podium: der Stargast. Viel zu erzählen aus dem gelobten Land des schnelllebigen Business hatte er freilich nicht – außer ein paar Weisheiten der Marke „Der Internetbranche steht ein dramatischer Wandel bevor“.

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