: Sieg ohne Angriff
Bayern ersetzen im Halbfinal-Hinspiel der Champions League spielerische Qualität durch Defensive – und gewinnen genau so mit 1:0 bei Real Madrid
aus Madrid REINER WANDLER
Vicente del Bosque wirkte einigermaßen ratlos. „Wir haben alles versucht“, stöhnte der Trainer von Real Madrid, „aber die Verteidigung der Bayern hat die Situation immer wieder gemeistert.“ 90 Minuten lang spielte beim Halbfinale der Champions League zwischen Madrid und München im Stadion Bernabeu nur ein Team: das der Gastgeber. Und dennoch trugen am Ende die Gäste den Sieg davon, weil Giovane Elber nach 56 Minuten ins Tor getroffen und Real Madrid damit die erste Heimniederlage dieser nun doch schon recht fortgeschrittenen Champions-League-Saison zugefügt hatte.
Der Treffer war so ungewöhnlich wie das ganze Spiel: Ein Freistoß von Real traf einen Bayern-Spieler, der abprallende Ball fiel Elber vor die Füße, der Brasilianer trat eher halbherzig dagegen, das Leder holperte los – und Iker Casillas, der Schlussmann der Madrilenen, griff schließlich beherzt daneben. Tor! 0:1 aus heiterem Himmel, immerhin so heiter und überraschend, dass selbst die 2.000 mitgereisten Bayern-Fans Sekunden brauchten, um zu verifizieren, was da eben geschehen war.
Die Elf von Real Madrid ließ sich dadurch nicht aus dem Trott bringen, sondern machte tapfer weiter, wo sie vor dem Gegentreffer aufgehört hatte – mit Offensivfußball. „Die Weißen“ spielten über links, über rechts, durch die Mitte. Figo, Gutis, Helguera, Raul, alle kamen sie in den Strafraum. Doch dort begannen ihre Probleme. Schon deshalb, weil sich die Bayern während des gesamten Spieles tief in die eigene Hälfte zurückfallen ließen. Fünf Mann verteidigten ständig, Salihamidzic und Jeremies halfen aus, oft stand nur Elber außerhalb des eigenen Strafraums. In solch engem Raum gelangen selbst Raul nur noch wenige seiner Glanztaten. Und dennoch schossen die Madrilenen immer wieder gefährlich aufs Tor. Mindestens sechs hochkarätige Chancen vereitelte der beste Spieler in der Bayern-Elf, der einmal mehr Oliver Kahn hieß und im Tor stand. Entsprechend sprachen die Statistiken am Ende für sich: 62 Prozent Ballbesitz für Real, zudem 12:2 Eckbälle. Konterte Bayern dennoch einmal, wurde es kaum richtig gefährlich, weder Scholl noch Effenberg noch Elber fielen besonders auf.
„Die Bayern wollen die Revanche für ihre Niederlage im letzten Jahr“, hatte Real-Coach Del Bosque die Stimmung vor dem Match angeheizt. Mit Erfolg: Der Champions-League-Klassiker füllte das Bernabeu-Stadion wie kein Spiel zuvor. Doch die Erwartungen wurden enttäuscht. „Der Feigling hat gewonnen“, titelten beinahe unisono am Tag danach die spanischen Gazetten, doch die Diskussion um die Leistung der Bayern ist ebenso müßig wie zwecklos: Die Taktik von Ottmar Hitzfeld ging auf. „Es war klar, dass wir nur mit einer guten Abwehrleistung Chancen haben würden, denn Real Madrid ist besser besetzt als wir“, entschuldigte sich der Bayern-Trainer für die durch und durch defensive Einstellung der Seinen.
Während den Madrilenen die Chance auf ihren neunten Europapokalgewinn nun zwischen den Füßen zu zerrinnen droht, stehen die Münchner zumindest mit einem Bein im Endspiel. Del Bosque möchte die Flinte dennoch nicht ins Korn werfen, noch nicht. „Ich freue mich auf das Rückspiel“, macht er sich und den Seinen Mut. Einen kleinen Vorteil dort besorgte den Madrilenen immerhin bereits der schottische Schiedsrichter Hugh Dallas: In einer zweifelhaften Entscheidung bestrafte er den bereits sanktionierten Stefan Effenberg mit Gelb, beim Rückspiel muss der „Tiger“ somit zusehen. Andererseits: Um nächsten Mittwoch im Münchner Olympiastadion gewinnen zu können, braucht die Elf von Del Bosque schon etwas mehr als einen ausgeschiedenen Effenberg. Die übliche Taktik – der langsame, fast schon zögerliche Spielaufbau, mit dem Real Madrid versucht, den Ball so lange wie möglich in den eigenen Reihen zu halten – schlug dieses Mal jedenfalls fehl.
Dass Real prinzipiell zu einem Auswärtssieg in der Lage ist, daran zweifelt auch Hitzfeld nicht. „Alles hängt von der Tagesform ab. Die Chancen stehen gleich wie hier“, erklärte der Bayern-Coach. Raul und Kollegen schlichen jedenfalls keineswegs deprimiert in die Umkleidekabine. „Wenn wir nicht optimistisch sind, wer soll es dann sein?“, fragte Mittelfeldspieler Helguera vielmehr trotzig.
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