: Krieg und Lieben
Kino in vier Jahreszeiten: „Das Frühlingstreffen der Feldhüter“ von Dimos Avdeliodis
Das „Frühlingstreffen der Feldhüter“ ist eine kleine, aber genaue anthropologische Studie über Menschen in Uniform. Dimos Avdeliodis drehte ihn auf der Insel Chios. Bis in die Siebzigerjahre gab es dort wie auch anderswo in Griechenland die Institution der Agrophylakon – der Feldhüter. Sie schützten die Felder vor Fruchträubern, waren aber zugleich auch die basisnächste Polizeiinstanz der rechten Regierung auf den Dörfern. Hier – sozusagen auf dem Vorposten an der Volksfront – hatten sie die Freiheit der Verhaltenswahl.
Etwas überwachen heißt zuvörderst, gegen den eigenen Schlaf zu kämpfen. Nachdem der erste Feldhüter bei der Verfolgung einer jungen Feldfruchtdiebin überraschend gestorben ist, werden nacheinander vier neue eingestellt – alle scheitern: zu vier unterschiedlichen Jahreszeiten, die natürlich in der Landwirtschaft eine wichtigere Rolle als für die Menschen in der Stadt spielen. Der erste neue Feldhüter ist motorisiert und hat einen Hund, ist jedoch faul, abergläubisch und lässt sich von den Dörflern durchfüttern – er wird schließlich von einem Schwarm Bienen in die Flucht geschlagen. Spätestens seit Isaak Babels „Reiterarmee“ haben Bienenstöcke eine große Funktion bei der Schilderung von Kriegen auf dem Dorf. Für den Zweiten Weltkrieg sei der slowakische Roman „Die verlorene Division“ von Ladislav Ťažký erwähnt. Zuletzt spielten sie in dem tadschikischen Dorf-Film „Der Flug der Biene“ eine Rolle.
Der zweite Feldhüter ist autoritär, übereifrig und schurigelt die Dorfbewohner, zum Beispiel zwingt er den Barbier, ihn noch nachts zu rasieren. Er liebt die Macht. Der schönen Feldfruchtdiebin kann er sich dementsprechend auch nur gewaltsam nähern. Der dritte ist älter und selbstbewusster, er biedert sich jedoch bald bei den in der Dorfkneipe Sitzenden an, und statt ihnen zum Beispiel das Kartenspiel zu verbieten, verfällt er selber dem Glückspiel. Zuletzt wird er verhaftet. Für die junge Diebin hat er keinen Blick, dafür klaut er ihr jedoch Holzscheite. Erst der vierte Feldhüter, der den Frühlingsdienst antritt – bekanntlich der schönste, aber auch anstrengendste –, konzentriert sich dann ganz auf das Mädchen. Ihretwegen rasiert er sich sogar. Und als er wegen mangelnder Meldungen entlassen wird, zieht er auch noch glücklich die Uniform aus – sodass dem Einfangen der Diebin – die natürlich inzwischen eine starke Uniform-Aversion entwickelt hat – nichts mehr im Wege steht: zwei glückliche Arbeitslose, die Täter und Opfer nur noch spielen – und zwar auf einem griechischen Tulpenfeld in der ersten warmen Sonne.
Avdeliodis hat seinen Film mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ unterlegt, außerdem sagt er, dass der letzte „Feldhüter des Frühlings“ für ihn Odysseus verkörpert: „Er weiß, dass das Leben etwas Vergängliches ist und man es für einen kurzen Augenblick ergreifen muss, solange noch Zeit ist ... Auch Liebe ist eine Art von Krieg.“ Avdeliodis ist der Meinung, „dass jeder Filmemacher eines Tages an den Ort zurückkehren muss, an dem er aufgewachsen ist“, das meinen, glaube ich, alle Dorffilmer.
HELMUT HÖGE
„Das Frühlingstreffen der Feldhüter“. Regie: Dimos Avdeliodis. Mit Angeliki Malanti, Takis Agoris u. a. Griechenland 1999, 178 Min.
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