: Der Krieg der Sterne wird teuer
Aus zwei Gründen könnte NMD noch scheitern: Technisch ist das Waffensystem nicht ausgereift und auch die Kosten für die Produktion sind unklar
aus Washington ELLY JUNGHANS
So hatte sich das auch Ronald Reagan vorgestellt: Mit einem lückenlosen Raketenschild, damals „Krieg der Sterne“ genannt, wollte er das Zeitalter der Atomwaffen überwinden. Das Projekt selbst schlug fehl, doch nach republikanischer Lesart gewann Reagan den Kalten Krieg, indem er die Sowjetunion mit seiner Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) in den Ruin zu rüsten drohte. US-Präsident George W. Bush steht mit seiner neuen Verteidigungsstrategie ganz in der Tradition des Republikaneridols. Im 21. Jahrhundert sieht er die Zeit für die Umstellung auf eine globale Raketenabwehr gekommen.
Die Logik, die der US-Präsident in seiner sechzehnminütigen Grundsatzrede vor Offizieren der National Defense University vortrug, hat einen schlichten Charme: Atomare Abschreckung sei nach dem Ende des Kalten Krieges nur noch begrenzt nützlich, sodass die USA einseitig abrüsten könnten. Derzeit umfasst das US-Arsenal rund 7.200 Atomsprengköpfe. Im Start-II-Vertrag wurde eine Reduzierung auf 3.500 Sprengköpfe vereinbart. Experten zufolge erwägt Bush einen Abbau auf 1.000 bis 1.500 Sprengköpfe. Die einseitige Abrüstung soll es Russland schmackhaft machen, den ABM-Vertrag durch neue Vereinbarungen zu ersetzen. In der neuen US-Verteidigungsstrategie stört das Abkommen von 1972 nur.
Denn statt mit Atomwaffen will Bush die Vereinigten Staaten, ihre Alliierten und ihre überall auf der Welt stationierten Truppen mit einem Netz von Raketenabwehrsystemen schützen. Er deutete an, dass er dafür zunächst auf bereits relativ weit fortgeschrittene Systeme zurückgreifen will. Langfristig strebt er an, feindliche Raketen bereits kurz nach dem Start abfangen zu können. Allein die Absicht der USA, eine Raketenabwehr aufzubauen, werde abschreckend wirken, selbst wenn die Systeme nicht hundertprozentig verlässlich seien.
Die mangelnde technische Reife des Projekts gehört zu den Schwachpunkten von Bushs Strategie. Mindestens fünf Jahre werde es noch dauern, bis die ersten Abfangraketen einsatzfähig seien, heißt es aus dem Pentagon. „Das alles ist nicht machbar, es ist pure Fantasterei“, meint der Verteidigungsexperte Joseph Cirincione vom Carnegie Endowment for International Peace in Washington. Anstatt abzuschrecken, werde das Projekt die Aufrüstung von Ländern wie Nordkorea oder China in der Zwischenzeit noch anheizen.
Umstritten ist auch die Bedrohungsanalyse der US-Regierung. Bush beschwöre eine gefährlicher werdende Welt, obwohl ein Netz von internationalen Verträgen heute mehr Stabilität schaffe als jemals zuvor, kritisiert Cirincione. Gegen Terroristen mit Biowaffen in der Aktentasche könnten Abfangraketen nichts ausrichten, sagt auch der ehemalige demokratische Senator Sam Nunn. „Die größte Gefahr geht heute nicht von einer Rakete aus einem Drittweltland aus, die einen Absender trägt.“ Andererseits will sich kein US-Politiker hinterher Untätigkeit vorwerfen lassen, sollte sich eines Tages doch eine Rakete aufs US-Festland verirren.
Bush befürchtet nicht, dass die Nato-Verbündeten ernsthaft Widerstand gegen die Rüstungspläne leisten. „Wir haben die Dominosteine doch schon überall in Europa fallen sehen“, sagt Fred Barnes vom konservativen Wochenblatt Weekly Standard verächtlich. Vorsichtshalber schickt der US-Präsident dennoch ein hochrangiges Team, in dem sowohl der Nationale Sicherheitsrat als auch die Ministerien für Äußeres und Verteidigung vertreten sind, zu „echten Konsultationen“ nach Europa. Er will den Eindruck vermeiden, seine Regierung stehe nicht geschlossen hinter dem Projekt.
Die eigentliche Hürde für die Verwirklichung der Raketenabwehr ist das Preisschild. Allein das von Bill Clinton betriebene Projekt eines in Alaska stationierten Abfangsystems wurde mit 60 Milliarden Dollar veranschlagt. Nicht von ungefähr nannte der US-Präsident in seiner Rede keine Zahl. Er will erst die US-Bevölkerung überzeugen, die für den Gedanken, ohne Einsatz von Truppen vor angeblichen Schurkenstaaten geschützt zu werden, durchaus empfänglich ist. Über die Kosten will er später reden. Reagans „Krieg der Sterne“ scheiterte unter anderem am Preis von bis zu einer Billion Dollar.
Der Schutz vor einzelnen Raketen aus Nordkorea sei die Kosten nicht wert, findet Cirincione. Viel spricht dafür, dass sich die Raketenpläne in Wirklichkeit nicht gegen Tyrannen wie Saddam Hussein, sondern gegen Peking richten. Auf Kriegsschiffen stationierte Abfangraketen könnten China von Angriffen auf Taiwan abhalten. Verteidigungsminister Rumsfeld brachte die Notwendigkeit einer neuen Verteidigungsstrategie in diesen Zusammenhang. „Die Wahrheit ist doch, dass die Chinesen aufrüsten, dass sie weiter aufrüsten werden – ganz unabhängig von einem ABM-Vertrag“, sagte er. „Sie haben ihn schließlich nicht unterzeichnet.“
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