: Polizei: Hier geht’s zur Front
Scharfe Kritik an der Polizeitaktik am 1. Mai: Beamte schickten gewaltbereite Demonstranten zum Mariannenplatz, wo dann das Fest eskalierte. Polizei will nur Friedlichen den Weg gewiesen haben
von PLUTONIA PLARRE
Nach Steinen hagelt es nun Kritik: Die Polizeitaktik am 1. Mai in Kreuzberg steht unter Beschuss. Von zentraler Bedeutung ist dabei eine Frage: Warum wurden gewaltbereite Demonstranten in der Oranienstraße per Lautsprecherdurchsage aufgefordert, sich in Richtung Mariannenplatz zu entfernen? Auf diesem fand zum selben Zeitpunkt ein friedliches Straßenfest mit mehreren tausend Besuchern statt. Kurz darauf kam es zur Eskalation. Die Polizei bestätigte gestern Abend ihre Durchsage. Diese habe aber nur „völlig friedlichen“ Teilnehmern der PDS-Demonstration gegolten. Zudem habe man nur dazu aufgefordert, „sich in Richtung Mariannenplatz und nicht zum Mariannenplatz zu entfernen“.
Der grüne Fraktionschef Wolfgang Wieland hält dagegen die Durchsage an die Demonstraten für eine bewusste Strategie: „Die Menschen wurden zum Mariannenplatz getrieben, weil man sie dort einkesseln wollte.“ Die Polizei hatte angegeben, die Randalierer seien von sich aus zum Mariannenplatz gezogen, um aus der „Deckungsmasse“ der Feiernden heraus Steine und Flaschen auf die Beamten zu werfen. Damit, dass ihr das Heft aus der Hand geraten würde, hatte die Polizei offenbar nicht gerechnet. Erst zwei Stunden später, gegen 20 Uhr, waren die Beamten wieder Herr der Lage. Sie bildeten Kessel um mehrere hundert Randalierer und Schaulustige.
Der 1.-Mai-Einsatz wird am Montag im Innenausschuss ein parlamentarisches Nachspiel haben. Der Chef der Schutzpolizei, Gernot Piestert, hatte einen Bericht der „SFB-Abendschau“ über die kritisierten Lautsprecheraufforderungen zunächst so kommentiert: Sollte dies tatsächlich so geschehen sein, sei dies aus polizeitaktischer Sicht „töricht“. Und Innensenator Eckart Werthebach (CDU) sagte: „Das kann ich mir nicht erklären.“
Der Filmbericht der „Abendschau“ war am späten Nachmittag des 1. Mai am Heinrichplatz aufgenommen worden. Die Aufforderung, sich zum Mariannenplatz zu bewegen, ist in Ton und Bild dokumentiert. Die gleiche Durchsage ist nach Informationen der taz zuvor auch an der Kreuzung Adalbert- und Oranienstraße und auf dem Lausitzer Platz gemacht worden.
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Roland Gewalt, hat diese Taktik kritisiert: „Wenn es zu einem Hinweis gekommen ist, zum Mariannenplatz zu gehen, dann war das sicher ein Fehler des lokalen Polizeiführers, der nicht hätte passieren dürfen.“ Die PDS-Abgeordnete Marion Seelig vermutet, dass hinter dem Vorgehen die Strategie steckt, das Straßenfest auf dem Mariannenplatz „zu kriminalisieren“. Die SPD-Abgeordnete Heidemarie Fischer dagegen glaubt, dass „Pannen“ auf den verschiedensten Ebenen zu dem Desaster führten. Möglicherweise hätten die vor Ort eingesetzten Fremdkräfte aus Niedersachsen, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt den Überblick verloren und die Leute in die falsche Richtung geschickt. Aufklärung wünscht Fischer im Ausschuss auch darüber, warum ein Polizeiführer vor Ort mitten im Einsatz abgelöst wurde.
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