: Gut drauf
Jedem sein Bild und seinen Pflasterstein: In Berlin trafen sich linke Medienaktivisten zur Nachbereitung des 1. Mai
Berlin und seine Demos. Ein problematisches Verhältnis. Trotz aller Klagen über Krawall und Zerstörung – am Tag der Liebe wie am Tag der Arbeit sollen Bilder produziert werden. Darum geht es. Was dem einen die nackte Titte, ist dem anderen sein Pflasterstein. Zwar wurde Berlins erstes Großevent im Demojahr offiziell verboten, hat aber immerhin den Vorteil, dass es längst und unwiderruflich in den Veranstaltungskalender der Stadt eingegangen ist.
Ansonsten kann dem 1. Mai das, was der Love Parade billig ist, nur recht sein. Also auch hier: Medienberichterstattung bis zum Abwinken, Revolutionsgrusel inklusive. Die Aktivisten organisieren ihre Medien zunehmend selbst. In der Hauptrolle als Heilsbringer wieder mal: das Internet. Gegenöffentlichkeit soll aufgebaut werden gegen die „etablierte Medienmacht“.
Also trafen sich am Mittwoch in einem Berliner Club Vertreter von KanalB und Indymedia – beides unabhängige und offene multimediale Plattformen, die Infrastruktur zur Verfügung stellen für die Veröffentlichung von nichtkommerziellem Material –, um sich Gedanken zu machen über „Stand und Chancen linker Vernetzungsprojekte“. Zunächst gab es Videos aus Kreuzberg. Mit der Nonchalance eines Gerd Rubenbauer stilisierte sich der Referent zum Kriegsberichterstatter, und der Sache angemessen war sein olivgrünes Outfit.
„An dieser Stelle gehe ich zurück zum Kotti, und man merkt: jetzt beginnt’s. Ich bin selbst auch gerannt, damit meine Privatkamera nicht nass wird, die ersetzt mir keiner.“ Es war der erste Sommertag. „Jetzt kommt die Szene, wo die Fronten am intensivsten waren.“ Dazwischen immer Zeitansage. „Ich bin da erschreckend cool. Viele anderen waren schon weg.“
Immerhin, am Schluss gab es Applaus. Nur einer traute sich zu sagen: „Ich glaube, du bist da geil drauf.“ Und weil er nicht der Einzige ist, gab es seine Aufnahmen auch im Internet zu sehen. KanalB aus Berlin bietet seit einem Jahr eine Plattform für die Veröffentlichung von Trashfilmen, Gema-freien Musikvideos und Dokumentationen. Für den 1. Mai hatten sich gleich sieben Kamerateams gemeldet, ihr Material wurde roh geschnitten und fast gleichzeitig ins Netz gestellt (www.kanalb.de). Dort sind die Filme auch jetzt noch abrufbar, und, so steht es auf der Website, „wenn dir das alles zu wenig scharf ist, kannst du dir hier eine VHS Kassette Nr. 9 SPEZIAL 1. mai 2001 bestellen“.
Das Material wird auf Fünf-Minuten-Happen zusammengeschnitten. „Wir zeigen natürlich nur das, was interessant ist, keine friedlichen Demonstranten, das wäre ja langweilig. Es ist eher atmosphärisch.“ Hier wird also auch nicht anders gearbeitet als in den Medienwelten, zu denen doch eine Gegenöffentlichkeit gebildet werden soll. Kurioserweise arbeitet man auf diese Weise auch dem Innensenator in die Arme. Um eine Verschärfung des Demonstrationsrechtes zu erwirken, hatte der die Eskalation möglicherweise auf der Rechnung und kann sich über die Verbreitung von Krawallbildern nur freuen. Zum Glück ist das nicht alles, was die selbst ernannte Medienguerilla leistet. Indymedia (www.indymedia.de) ist ein „unabhängies Medienzentrum der nichtkommerziellen Berichterstattung“ und sieht sich als Teil des „weltweiten Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung“. Ohne derartige Vernetzungen wären spektakuläre Protestaktionen wie in Seattle unmöglich. Es gibt Themenschwerpunkte, Links und ein umfangreiches Archiv. Hier schreiben die Aktivisten selbst, die Plattfom ist – abgesehen von einer kleinen Redaktion, dem so genannten intelligenten Filter – vollkommen offen. Diese Redaktion versucht Meldung von Gerücht zu trennen. Das gelingt nicht immer. Diesmal meldete man die Krawalle am Boxhagener Platz in Friedrichshain zwei Stunden zu früh.
Mit den „Breaking News“ gleich auf der ersten Seite bedient man dann aber doch denselben Aktualitätsfetisch wie Spiegel Online. Zumindest einen Unterschied gibt es: Riots erhöhen die Zugriffszahlen. Für die Nichtkommerziellen, die ihre Rechnungen im Verhältnis zur abgerufenen Datenmenge bezahlen, bedeutet das paradoxerweise Kostensteigerung. Bei Spiegel Online steigen am 1. Mai die Anzeigenpreise.
SEBASTIAN HANDKE
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