: Der Antikommunist
aus Berlin RALPH BOLLMANN
So barock, wie der Mann geherrscht hat, geht seine Karriere auch zu Ende. Als üppige Kulisse für seine letzte Vorstellung hat Klaus Landowsky das oberfränkische Kloster Banz ausersehen. Hier, im Bildungszentrum der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, wird der Vorsitzende der Berliner CDU-Fraktion an diesem Wochenende seine Abgeordneten ein letztes Mal zur Klausurtagung um sich versammeln – und seinen Rücktritt ankündigen.
Längst sind dem einst mächtigsten Mann Berlins die Felle davongeschwommen. Jetzt klammert er sich daran, wenigstens den Zeitplan seines Rücktritts noch selbst bestimmen zu können. Seit drei Monaten hat Landowsky eine Spendenaffäre am Bein, die sich zur Finanzkrise des ganzen Stadtstaats ausgeweitet hat. Verdruckster denn je redet Landowsky um den heißen Brei herum – Offenheit war schließlich noch nie eine Stärke der Berliner CDU. Er werde der SPD „kein Scheinalibi liefern nach dem Motto: Die CDU hat uns in die Arme der PDS getrieben“. Das ist seine Art, den Rücktritt anzukündigen. Die Forderung nach seinem Rückzug findet Landowsky „unsittlich“, und die SPD ist für ihn eine „degenerierte Partei“, die „ihren Freiheitskampf der letzten 50 Jahre für ein Linsengericht der Macht“ verraten will.
Macht durch Ausgrenzung
Als wäre die Schallplatte seit zehn Jahren an derselben Stelle hängen geblieben, sagt der Antikommunist Landowsky noch im Untergang sein immer gleiches Sprüchlein auf. Der starke Mann der Berliner CDU hat immer nach der Einsicht gehandelt: In der traditionell roten Hauptstadt beruht die Macht seiner Partei einzig und allein auf der Ausgrenzung der PDS. Solange die Sozialisten als nicht regierungsfähig gelten, würde die Berliner SPD in der undankbaren Rolle eines bloßen Mehrheitsbeschaffers für die Union gefangen sein.
Der Mann hat recht getan. Doch SPD und PDS traten den Beweis viel früher an, als ihm lieb sein konnte. Das Tauwetter zwischen beiden Parteien hat sich längst zu einem rot-roten Frühling ausgewachsen. Da entschuldigt sich die PDS-Bundeschefin Gabi Zimmer für die SED-Zwangsvereinigung von 1946, und der Fraktionsvorsitzende Roland Claus spekuliert über eine Regierungsbeteiligung im Bund. In Berlin geben die Fraktionschefs Klaus Wowereit (SPD) und Harald Wolf (PDS) bereits Interviews, in denen sie ein gemeinsames Regierungsprogramm entwerfen. Das erstaunlichste daran: Niemand regt sich auf.
Jahrelang haben die Berliner Sozialdemokraten spekuliert, eine Annäherung an die PDS werde zuerst die SPD selbst zerreißen. Sicher ist jedoch nur, dass schon die bloße Möglichkeit eines solchen Bündnisses eine andere Partei in die Krise stürzt – die CDU. Jahrelang konnte Landowsky schalten und walten, weil es keine Alternative gab. Seit die SPD – zumindest theoretisch – die Wahl hat, ist es damit plötzlich vorbei.
Die Spendenaffäre, die Landowsky jetzt zu Fall bringt, hätte in früheren Zeiten als Petitesse gegolten. Nichts hatte dem Mann etwas anhaben können. In einer Parlamentsrede bezeichnete er Zuwanderer aus Osteuropa als „Ratten“, „Gesindel“ und „kriminellen Abschaum“. Ein anderer hätte zurücktreten müssen. Nicht Landowsky. Die Doppelfunktion des Bankiers und Fraktionsvorsitzenden war schon immer ein Skandal. Dass sich das Vorstandsmitglied eines landeseigenen Konzerns als Parlamentarier selbst kontrolliert – das wäre selbst im Düsseldorfer Filz der WestLB nicht denkbar gewesen.
Doch in Berlin heiligte der antikommunistische Zweck auch noch die anrüchigsten Mittel. Wer die PDS nicht an der Regierung sehen wollte, musste sich tunlichst die Nase zuhalten – ganz so, wie es in Italien bis 1992 üblich war. Auch südlich der Alpen war der christdemokratische Filz erst zum Stein des Anstoßes geworden, als sich die oppositionellen Kommunisten in die regierungsfähigen Linksdemokraten verwandelt hatten. „Die Macht verschleißt den, der sie nicht hat“ – das zynische Bonmot des italienischen Strippenziehers Giulio Andreotti hat Landowsky stets beachtet. Auch dessen Hinweis, die wahren Geheimnisse verrate man am besten nur sich selbst, scheint der Berliner Kollege beherzigt zu haben. Und wie Andreotti, der das Amt des Ministerpräsidenten nur im Notfall selbst übernahm, hat Landowsky das Rampenlicht der Exekutive stets gescheut. Man glaubt es kaum: Auf das zweifelhafte Vorbild des italienischen Ancien Régime hat sich Landowsky sogar selbst bezogen. In der Bonner Landesvertretung Berlins verteidigte er 1992 das Prinzip der großen Koalition: „Dass Regierungen aus Bürgerlichen, Liberalen und Sozialisten als etwas völlig Normales empfunden werden können, zeigen Belgien, Italien und Österreich.“ Was die Beispiele wirklich zeigen, ist mittlerweile bekannt: In Belgien und Italien ist eine ganze politische Klasse im Strudel von Skandalen versunken, in Österreich hat der schwarz-rote Filz den Populisten Jörg Haider stark gemacht.
Der Antikommunismus, den Landowsky stets im Brustton der Überzeugung vertrat, war in Wahrheit wohl eher ein Instrument des Machterhalts. Vieles hat er sich im Nachhinein zurechtgebogen. So behauptete er im Vorwort zu einer Sammlung seiner Reden, er sei „unter dem Eindruck des Prager Frühlings und als Reaktion auf den Mauerbau“ in die CDU eingetreten. Da muss er über wahrhaft prophetische Gaben verfügt haben: Das Parteibuch der CDU erwarb er 1961, sieben Jahre vor dem Prager Frühling. Der Jungen Union hatte er sich sogar schon 1957 angeschlossen – da war noch nicht einmal die Mauer gebaut.
Schon als Jurastudent an der Freien Universität habe Landowsky, Jahrgang 1942, in den Sechzigerjahren „erfolgreich gegengehalten gegen die revolutionäre Umbildung der Universiät“, wie er rückblickend formulierte. Dass sein Weggefährte Eberhard Diepgen vom Asta-Vorsitz nach wenigen Tagen wieder zurücktreten musste, weil er einer schlagenden Verbindung angehörte, konnte Landowsky nicht verhindern. Aus der gemeinsamen Anwaltskanzlei am Kurfürstendamm organisierten die beiden in den Siebzigern Fluchthilfe für DDR-Bürger. Für manch einen zwanzigjährigen Fluchthelfer endete Landowskys antikommunistischer Heldenmut in der ostdeutschen Gefängniszelle.
Damals galt noch die SPD als die Verkörperung des Westberliner Durchhaltewillens mitten im kommunistischen Meer. Als die Sozialdemokraten Ende der Siebziger in Filz und Skandalen versanken, übernahm Landowskys CDU deren Rolle – auch als Volkspartei. Wirtschaftspolitisch war der Bankier Landowsky sehr wohl bereit, dem Beispiel der DDR zu folgen. Die Art und Weise, wie er ohne Rücksicht auf ökonomische Vernunft soziale Wohltaten verteilte, erinnerte fatal an die ruinöse „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, die der Genosse Erich Honecker betrieb. Anders als im Osten funktionierte das System im alten Westberlin jedoch prächtig, weil das Geld dafür in Stuttgart oder Rüsselsheim verdient wurde.
Starke Worte ohne Skrupel
Gern bezeichnete sich Landowsky als „bürgerlich“. Im alten Westberlin, das vom Bürgertum längst verlassen war, kam er damit sogar durch – obwohl er eigentlich dem Typus des neureichen Proletariers entspricht: Rolex am Arm, großformatige Brille auf der Nase, breites Grinsen im Gesicht – und das Dachgeschoss seiner Wohnung zum privaten Partyraum ausgebaut.
Immer schon war Landowsky ein Mann der starken, oft unangemessenen Worte. Sie wirken nur noch lächerlich, seit dahinter keine reale Macht mehr steht. Muss man Randalierer, die am 1. Mai mit Steinen werfen, gleich als „Terroristen“ bezeichnen? Ein Klaus Landowsky kennt solche Skrupel nicht. Seine Rhetorik entspricht dem alten Denken in den Kategorien von Freund und Feind. Der Pragmatismus, mit dem jüngere Politiker von CDU bis PDS die Sanierung des maroden Landeshaushalts vorantreiben, ist seine Sache nicht.
Erst nach dem Fall der Mauer kam Landowskys große Zeit. In den Achtzigern war die Position der Berliner CDU noch labil, eine Spendenaffäre wurde von den Wählern 1989 mit einem rot-grünen Wahlsieg bestraft. Erst seit dem 3. Oktober waren die „Kommunisten“ kein fernes Schreckgespenst mehr – sie saßen leibhaftig im Gesamtberliner Parlament. Jetzt lief Landowsky, der fortan als Fraktionsvorsitzender amtierte, zu seiner ganzen Form auf. Die CDU kam wieder an die Macht, diesmal mit Hilfe der SPD. Die Sozialdemokraten konnten strampeln, wie sie wollten – wann immer sie sich aus Landowskys Klauen befreien wollten, gerieten sie in den Verdacht, heimlich auf die PDS zu schielen – und wurden dadurch noch enger an die CDU gekettet. Von „unproblematischen Zeiten“ spricht Landowsky rückblickend. „Der ist doch am Ende zwei Meter über dem Boden geschwebt“, sagt CDU-Rivale Heinrich Lummer.
„Marx ist tot, Lenin ist tot, und Sie sind auch schon ganz blass, Herr Wieland.“ Mit diesen Worten attackierte Landowsky vor ein paar Jahren den Fraktionschef der Berliner Grünen. Jetzt fallen die Worte auf Landowsky zurück: Wenn alle Kommunisten tot sind, dann ist der Antikommunist plötzlich arbeitslos geworden.
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