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Morgenröte

War der Titel der Veranstaltung ein Missverständnis? „Für welche Utopien/für welchen Sozialismus lohnt es sich noch zu kämpfen? Politische Entwürfe jenseits der Realpolitik“ hieß es in der Vorwoche noch zu jener Diskussion, die den taz-Kongress beschließen sollte. André Brie war eingeladen, um über einen Sozialismus zu sprechen, der die Freiheitsansprüche des Liberalismus nicht ignoriert. Allein: Das Publikum wollte sich den Begriff „Utopie“ nicht nehmen lassen. Christian Semler, taz-Autor, und Michael Brie, der kurzfristig für seinen mit dem Motorrad verunfallten Bruder André auf das Podium stieg, verzichteten nach einer Dreiviertelstunde auf ihr ursprüngliches Thema („Sozialismus“), was den Vorteil hatte, dass keiner der beiden als argumentativer Sieger hervorgehen konnte und musste. So artikulierten sich viele Frauen und Männer aus dem Publikum – insgesamt zwängten sich wohl vierhundert in den Saal des Kongresshauses. Sprachen über entwürdigende Arbeitslosigkeit, über die Geißel der Globalisierung, die Macht der Konzerne und den Kampf der new anti-economy-Bewegung. Semler, seit den Sechzigerjahren ein Afficionado (nicht nur) bundesdeutscher Oppositionsbewegungen, erkannte in dieser erstaunlichen Kraft, die Podiumsdiskussion über Sozialistisches zu einem Forum über das Widerständige schlechthin umzubiegen, eine Tendenz, ja: eine neue Morgenröte. Brie verwies, für GenossInnen seiner realsozialistischen Herkunft in jeder Hinsicht provokant, auf die schlechte Tradition, Freiheit gegen Gleichheit auszuspielen. Einstweilen war sich das Publikum einig, den Kapitalismus nicht als Schicksal zu nehmen. Bries Formel: „die Sachzwänge zurückdrängen!“ ergänzte Semler mit: „die Sachzwänge aufbrechen!“ JAN FEDDERSEN

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