Der Schönredner

Berlusconi führt seine Partei Forza Italia so autokratisch, als wäre sie sein Unternehmen

aus Rom MICHAEL BRAUN

Seine Sängerkarriere begann im Libanon. Kontrabasszupfend und trällernd verdiente er sich an der Seite seines Schulfreunds Fedele Confalonieri in Beiruter Nachtbars das Studium.

Ein aufgeräumter Berlusconi erzählte diese Geschichte 1989 vor Vertretern seiner Werbefirma Publitalia. Confalonieri ist heute Chef der Berlusconi-Holding Fininvest. Damals gab es Krach: „Confalonieri kündigte mir. Ich ging nämlich immer von der Bühne runter und tanzte mit den schönsten Mädchen.“

Ein toller Hecht, eine schöne Geschichte. Mit einem kleinen Haken: Berlusconi war nie im Libanon. Und doch ist die Geschichte aufschlussreich. Sie berichtet von einem jungen Mann mit prallem Selbstbewusstsein, dem Arbeit immer ein Vergnügen war, der an die Freundschaft glaubt und Wahrheit für eine flexible Größe hält. Von einem Mann, der seine Vita genauso wie seine Produkte treuherzig lächelnd mit mal wahren, mal frei erfundenen Geschichten zu verkaufen weiß.

Heute führt Berlusconi Wahlkampf, indem er seine Biographie facettenreich wie nie ausbreitet. Als „Unternehmer-“ wie als „Arbeiter-Präsident“ grinst er von den Plakaten, und auf einer Kundgebung klärte er das Publikum auf, dass er schon mit sechs Jahren „landwirtschaftlich tätig“ war – er hat als Bub mal einen Kohlkopf aus dem Garten geholt.

Eigentlich hat es Berlusconi gar nicht nötig, sich mit kleinen Geschichtchen aus der Jugendzeit groß zu machen. Er ist der Größte. Auf 25 Milliarden Mark schätzt das Wirtschaftsmagazin Forbes das Vermögen des reichsten Manns Italiens. Gegenkandidat Francesco Rutelli bezifferte seinen Kontostand auf 10.000 Mark. „Würden Sie so einem Mann Ihre Ersparnisse anvertrauen?“, lästert Berlusconi seither auf seinen Kundgebungen. Er macht zwar Politik, aber er ist kein „Politikaster“; er redet zwar ununterbrochen, aber er ist kein Schwätzer wie sein Kontrahent: „Meine Gegner reden zu viel. Ich bin ein Mann der Tat, und deshalb sind auch meine Worte Taten.“

Selbst kleinste Tatsachen, die seiner Selbstpräsentation als zupackendem Titan in die Quere kommen, räumt er deshalb gerne aus dem Weg. Das Ärgernis des kleinen Wuchses bekämpft er mit hohen Absätzen und dicken Kissen, der unerbittlich vormarschierenden Glatze wird er Herr, indem er Plakate kleben lässt, die den Berlusconi von vorgestern mit vollem Haupthaar zeigen. So ein Mann ist reif für die Operette – oder fürs wichtigste Amt im Staat.

Berlusconis Credo ist seit 40 Jahren, dass das Publikum betrogen werden will. Nicht umsonst schulte er sein sprichwörtliches Verkaufstalent als Staubsaugervertreter und Kreuzfahrtentertainer. „Wenn mein Gegenüber konkav ist, werde ich konvex, und wenn er konvex ist, mache ich mich konkav“, beschrieb er einmal seine Strategie. Eine Strategie der Anschmiegung, nicht der Anpassung, denn Berlusconi diente immer nur einem Herrn: sich selbst. Dieser Dienst beginnt jeden Morgen vor dem Spiegel, mit einem siegessicheren Lächeln für sein Alter Ego in der Glasscheibe – und mit dem Lächeln geht es dann durch den Tag.

Ein Tag, der seit vierzig Jahren dem gleichen Job gewidmet ist: dem Job, Worte zu Taten werden zu lassen. Mag sein, dass er kein glänzender Redner ist. Zweistundenvorträge sind seine Sache nicht. Doch er erweist sich immer wieder als brillanter Conferencier. Das Lächeln fest im Gesicht, das Mikro locker in der Hand, heizt er seinem Publikum ein. Die Verbrechenzahlen sinken in Italien – Berlusconi behauptet das Gegenteil. Die Staatsverschuldung ist endlich im Griff – der Rechtskandidat schwadroniert vom „Schlusslicht Italien“. Berlusconi selbst ist in den letzten Jahren um diverse Milliarden Mark reicher geworden – doch bei den Fans im Saal klagt er über das „rote, freiheitsfeindliche Regime“ in Rom. Dessen Stunde habe geschlagen: Seit einem Jahr schon predigt Berlusconi, dass die Rechte den Wahlsieg in der Tasche hat. Aus Worten werden Taten, oder nicht?

Und ist er nicht die beste Wahl, gerade weil er ein schwerreicher Unternehmer ist? Er habe es nicht nötig, sich per Politik zu bereichern, gibt er auf die Frage nach möglichen Interessenkonflikten zurück. Nur die Sorge ums Land treibe ihn um. Dabei war es wohl eher die Sorge um die eigene Zukunft, die den Unternehmer 1994 von einem Tag zum anderen Politiker werden ließ. Das Fininvest-Imperium stand: drei Fernsehsender, der größte Buch- und Zeitschriftenverlag des Landes, „Mondadori“, eine Versicherungsgesellschaft und eine Kaufhauskette, der AC Mailand und die Filmproduktion Medusa. Doch Berlusconi war über Nacht der politische Pate abhanden gekommen. Sein Aufstieg verdankte sich vielfältiger, nie komplett ergründeter Freundschaften. Anonyme Finanziers halfen, erst von Nummernkonten aus der Schweiz, dann mit dicken Koffern voller Bargeld. Die Logenbrüder vom Geheimbund P 2, zu dem wichtige Bankchefs gehörten, gewährten Berlusconi trotz fehlender Sicherheiten Kredite. Und dann waren da noch die Sozialisten unter Berlusconis Busenfreund Bettino Craxi. Der verhinderte per Dekret, dass Berlusconis illegale Privatsender in den 80er-Jahren stillgelegt wurden.

„Ich bin ein Mann der Tat, und deshalb sind auch meine Worte Taten“,sagt Berlusconi

Doch dann ging Craxi in Strudel der Korruptionsermittlungen unter. Der Pate war weg – dafür standen die Richter auf der Matte, interessierten sich für schwarze Kassen und Bilanzfälschungen bei der Fininvest. Berlusconi ist die Defensive nicht gewohnt; also ging er in die Offensive und mutierte zum Politiker. Seine Partei Forza Italia führt er bis heute autokratisch, ganz als wäre sie ein Unternehmen. Wie weiland die Vertreterversammlungen der Publitalia mutete das Treffen der rechten Parlamentskandidaten im April in Rom an: Für jeden gab es einen Musterkoffer mit Forza-Italia-Fähnchen, Standardargumentation („Rutelli ist bloß ein Strohmann der Kommunisten“) und der Berlusconi-fotobroschüre („Ein italienisches Leben“). Und wie in alten Zeiten schwor Berlusconi seine Vertreterschar dann ein. Die Nummer vom Zweikampf Freiheit gegen rote Barbarei brachte er so überzeugend wie seinerzeit das Libanon-Geschichtchen.

Ähnlich überzeugend verkauft er zur Zeit auf Kundgebungen und in TV-Diskussionen seinen Refrain, rote Richter hätten es hartnäckig auf ihn abgesehen, obwohl er bisher aus allen Prozessen sauber hervorgegangen sei. Marco Travaglio, der den Schattenseiten der Berlusconi-Karriere sein Buch „Der Geruch des Geldes“ gewidmet hat, weiß es besser. 1990 ist Berlusconi des Meineides überführt worden, weil er seine Mitgliedschaft in der P 2 unter Eid geleugnet hat. Dank einer Amnestie kam er straflos davon. Dann stand er wegen Schmiergeldzahlungen an Craxi vor Gericht und wurde nur wegen Verjährung nicht verurteilt. Noch heute ist er in mehreren Verfahren angeklagt – weiß ist Berlusconis Weste nicht.

„Trotzdem kommt er immer wieder davon“, so Travaglio im Gespräch, „und dies nicht zuletzt, weil seine Anwälte systematisch auf Prozessverschleppung setzen. Berlusconi beklagt sich über die Justizverfolgung. Doch wenn er unschuldig wäre, würde er sich im Prozess verteidigen. Stattdessen verteidigt er sich gegen die Prozesse.“ Not macht erfinderisch: Ein Verfahren musste neu aufgerollt werden, weil Berlusconi entdeckte, dass die ihm komplett gehörende Holding Fininvest nicht als eine durch ihn möglicherweise geschädigte Partei zum Prozess geladen war.

Wahrheit ist eine flexible Größe, und Worte werden Taten. „Vollkommen transparent“ sei die Geschichte seines Unternehmens, dekretierte Berlusconi mit zorngeschwellten Schläfen und verklagte Travaglio auf 20 Millionen Mark Schadenersatz wegen „Rufschädigung“. Seinen Ruf sieht Berlusconi auch durch die Auslandspresse schwer geschädigt. Doch Gott sei Dank habe nicht die „Internationale des Unrats“ das Wort, sondern die italienischen Wähler. Bei denen hat der Verkaufsstar beste Chancen. „Anderswo ist ein Meineid das Ende einer politischen Karriere“, kommentiert Travaglio, „bei uns dagegen zählt er immer noch als Eintrittskarte.“