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Revolutionäre Hafenszenen in Öl

■ Das Hamburger Sammlerpaar Rauert ist schon früh auf den expressionistischen Geschmack gekommen. Jetzt ist die Sammlung in der Boettcherstraße zu sehen

Der Hunger auf den deutschen Expressionismus und die klassische Moderne mit Kennzeichen D müsste in der Region Bremen eigentlich noch gestillt sein. Immerhin waren mit dem „Blauen Reiter“ in der Kunsthalle und mit „Der Sturm“ in Delmenhorst zwei große Ausstellungen zum Thema erst vor wenigen Monaten zu sehen. Trotzdem will das Paula-Modersohn-Becker-Museum jetzt wieder Appetit auf das klassisch-moderne Wühlen in Farbe machen. In sechs-ter und letzter Station zeigt das Haus mit „Nolde, Schmidt-Rottluff und ihre Freunde“ Expressionismus und Verwandtes auf drei Etagen.

Für Museumsleiter Rainer Stamm ist die Ausstellung die wichtigste des Jahres in seinem Haus. Tatsächlich waren die hier gezeigten Bilder vor der Tournee in dieser Vollständigkeit noch nicht öffentlich zu sehen. Die Gemälde, Blätter und Dokumente stammen aus der Hamburger Privatsammlung von Martha und Paul Rauert. Zwar hat Martha Rauert, die ihren Mann um 20 Jahre überlebte, schon vor ihrem Tod 1958 einzelne Bilder für Ausstellungen verliehen. Doch erst 1996 wandten sich Hamburger Museumsleute mit der Idee an die Enkel, das Paar selbst über ihre Sammlung vorzustellen. Immerhin ist die Sammlung Rauert eine von wenigen noch erhaltenen Privatsammlungen. Neben hervorragenden Bildern und Zeichnungen mit deutlichen Schwerpunkten auf Emil Nolde (1867-1956) und Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) gehören auch gut erhaltene Dokumente aus der Zeit der Künstlergruppe „Brücke“ dazu, die Rainer Stamm in dieser Qualität noch nie zuvor gesehen hat.

Als viele andere Kunstinteressierte noch Jugendstil und andere deutsche Kunst sammelten, stießen die Rauerts auf die jungen Maler, die scheinbar mit allen Traditionen gebrochen hatten. Sie lernten Nolde, Schmidt-Rottluff, Erich Heckel oder den „magischen Realisten“ Franz Radziwill persönlich kennen und kauften schon ab 1905 ihre Bilder. Zwar will Rainer Stamm nicht in den Chor einstimmen, die Expressionisten seien verkannte Künstler gewesen: „Die Geschichte der klassischen Moderne fing glorios an – es gab bürgerliches Sammlerklientel.“ Dennoch haben sich viele andere BürgerInnen und KritikerInnen nicht für die revolutionäre „Kleckserei“ interessiert und waren die Rauerts Pioniere genug, um eine umfangreiche und zugleich eine der bedeutendsten Sammlungen aufzubauen. Laut Katalog gehören 198 Werke dazu. Inklusive einiger in den letzten Jahren verkaufter Bilder dürfte die Sammlung weit größer gewesen sein. In Bremen sind jetzt 125 Arbeiten zu sehen.

Zu Hamburg passend, dominieren maritime Motive die Sammlung – oder zumindest ihre Anmutung in der Ausstellung. Elb- und Hafenansichten hängen da in zahlreichen Variationen nebeneinander. Auf eine monographische, also nach Künstlern unterteilte Präsentation wurde verzichtet. So trifft ein Nolde auf einen Heckel, stößt ein Kirchner auf einen Schmidt-Rottluff. Das Spektrum reicht von frühen, noch eher impressionistischen Bildern über die klassische Brücke-Phase (1905-1913) bis hin zu späten Arbeiten. Sie dokumentieren die lebenslange Freundschaft zwischen den Künstlern und dem Sammlerpaar. Das hat so viele „Klassiker“ gekauft, dass man auch nach „Blauem Reiter“ und „Sturm“ durchaus wieder Hunger auf Expressionmus bekommen kann. ck

Bis 15. Juli im Paula-Modersohn-Becker-Museum, Böttcherstraße.

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