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Die Bilder zu den Bildern

■ Die Bremer Kunsthalle stellt wie in den letzten Jahren die zehn KandidatInnen für den „Kunstpreis der Boettcherstraße“ aus und bietet so schon vor der Preisverleihung Mitte Juni ein Art Mini-documenta

„Fritz Kogler ist uns am teuersten gekommen und hat am wenigsten Chancen auf den Preis“, meint Claus Wencke vom Stifterkreis des 1954 vom Kaffee-HAG-Erfinder Ludwig Roselius ins Leben gerufenen, renommierten 30.000-Mark-Preises. Kogler ist zu erfolgreich für dies Talent-scout-Projekt, das sich rühmen kann, mit Stephan Balkenhol, Martin Honert, Wolfgang Tillmans und Olafur Eliasson Künstler aufs Podest gewuchtet zu haben, noch ehe sie bei Biennale, documenta und Turner-Preis endgültig durchstarteten. Alle zwei Jahre wählen zehn Menschen der Praxis (diesmal u.a. die Kunstvereins-ChefInnen von Zürich, Krefeld und Köln) ihre persönlichen shooting-stars in spe, und fünf Jury-Mitglieder – auch alles Ausstellungsmacher, u.a. der wichtige Veit Loers (einst Kassel, jetzt Mönchengladbach) – küren daraus den Preisträger.

Der chancenlose Kogler dürfte mit seiner faszinierenden Verurwaldung des großen Zentralraums aber immerhin Publikumsmassen anziehen. Der Mann, der einst Ameisenheere über Wände krabbeln ließ und vor einigen Jahren die GAK tapezierte, ist noch immer beim Thema Röhren. Anders als bei der letzten documenta sind sie nun nicht nur grau, sondern auch tannengrün und Fanta-orange. Muss man sehen! Statt an Stahl, erinnern sie an Lianen und wild gewordene Brunnenstrahlen, es blubbert und beult: Wie schön kann vernetzte Welt sein. In zwei Wochen harter Knobelarbeit haben Kuratorin Dorothee Hansen & Helferin ganze Stapel von Computerausdrucken genau nach Koglers Plan an die Wände geklebt.

Gute Chancen auf den Preis kann sich wohl Annette Begerow ausrechnen. Was zunächst wie eine meditative Lichtinstallation von James Turell wirkt – da schweben zwei schwach leuchtende, fast unsichtbare Leinwände im stockdunklem Raum – ist das Entwickeln einer krassen Alternative zur üblichen Bildbetrachtung: Begerow scannte ein Turner-Gemälde der National Gallery in London ein. Pixel für Pixel projiziert sie es in gigantischem blow up auf die zwei Leinwände.

In vier Jahren wird etwa ein Viertel des Gemäldes abgetastet sein: Die Geduld eines mittelalterlichen Säulenheiligen müsste man haben. Es könnte die Sehweise eines mikroskopischen Staubbakteriums sein, das sich das Bild erwandert wie ein menschlicher Abenteurer einen ganzen Kontinent. Natürlich geht es nicht um Staubbakterien, sondern um Computertechnologie. Konkretes wird transformiert in abstrakte Daten; und die können verdammt sinnlich sein: Die langsamen Farbveränderungen beruhigen das Gemüt und schärfen das Auge. Auch Turner ließ ja einst gar manches Seestück unter den Nebel der Abstraktion in die Monochromie entfleuchen. Vielleicht wissen wir jetzt, wie HAL fühlte, jener Computer der in Kubricks „2001“ die Mannschaft meuchelte.

Kuratorin Hansen meint, dass sich viele der Künstler mit Medien(un)wirklichkeit beschäftigen, was nach 30 Jahren Medienkritik zum Gähnen Anlass geben könnte. Aber es ist spannend, wie Erik Steinbrecher gröbstkörnige Bilder zu lustigen Themen wie Krieg, Chirurgie, Kunst, Haar, Fleisch et cetera aus Fernsehen, Magazinen und dem eigenen Fotoalbum fischt. Neben Eiter, Innereien, verkohlten Kriegsopfern wirkt schlichtes blondes Haar plötzlich ziemlich eklig. Wie festgefroren erscheint das ganze Elend schön aufgereiht unter den Vitrinen. Sehr eindrucksvoll, ob so aber jene „Sortierung“ des medialen Bilderschwalls gelingt, die Steinbrecher bezweckt, darf bestritten werden.

Christian Jankowski, von Wulf Herzogenrath erwählt, konfrontiert die gebirgigen Italienlandschaften mit Ruinen auf Gemälden des 18. Jahrhunderts mit den viel sanfteren Toskanahügeln in einem fiktiven Werbetrailer. Er selbst hat ihn gedreht und Werbung viel kitschiger nachgestellt als sie heutzutage ist, wozu? Ein weiterer Fall von Kunstkunst - Kunst über Kunst – stammt von Harald Braun. Auf einem krachigen Flickenteppich in uralt-schmuddeliger Hippieästhetik verteilt er ebenso vogelwild Postkarten von Arbeiten von Nam June Paik, Dürer, Cage, alten Niederländern im Mitnehmformat fürs Fotoalbum. Es geht wohl nicht um Kritik, sondern wie so oft um Kontextverschiebung und die übereinander purzelnden Bildwelten sind lustig anzusehen.

Ein kluges Recyclingkonzept entwickelt Wilhelm Mundt. Statt seinen Sperrmüll in den Wald zu kippen, gießt er ihn in aalglatten silbernen Kunstharz und verkauft die buckligen Findlinge an Museen. Jetzt ist quasi seine Lebensgeschichte, wenn auch getarnt, überall präsent. „Spuren zu hinterlassen“ reizt auch Michaela Melian. Ihre Wandbilder nach Fotos des Hollywoodstars Hedy Lamaar, die überdies an der Entwicklung von Kriegstechnologie (auch für U-Boote) beteiligt war, wird man zwar übertünchen, aber eben nicht ausradieren. Melian zeigt immer starke Frauen passend zum Ausstellungsort. In Bremen ist es Lamaar wegen den U-Boten, und deren Kontur deckt sich tatsächlich mit derjenigen Lamaars in einer orgiastischen Filmszene, verblüffend. Sexy Kriegstechnologie.

Robert Lucander, der einzige Maler im Rennen um den Kunstpreis, zeigt VIPs. Gerhard Schröder zahnstochert in seinem Mund und denkt dazu „Weil mein Job es erfordert“, und Silvester Stallone greift sich feist in die Hose und sagt „Hang on“: knallig, so wie die Farben in Pop-Art-Manier, aber lustig.

Und dann ist da noch Daniele Buetti. Der Einzige, der der Welt keine Mitteilung zu machen hat, „so etwas maße ich mir nicht an“. Er gestaltet einen schönen Raum, mit einer sanft torkelnden Riesenmikrobe an der Wand, kaleidoskopartigen Lichtspielen und trancig-meditativem Soundtrack, wie angenehm. bk

Die Ausstellung ist bis zum 1. Juli in der Kunsthalle Bremen zu sehen. Die Preisverleihung findet am 17. Juni um 11.30 Uhr statt.

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