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Hyperaktive Bauklötze

Am Fundament arbeiten: Die kanadische Punkband Nomeansno spielt im SO 36

Auf jedem Album der Kanadier Nomeansno (NMN) gibt es diese Momente, in denen die gesamte Morphologie der Band verdichtet wird – auf eine bemerkenswerte Weise für Musiker, die sich ganz eindeutig dem Hardcore zuordnen. Es ist die halbsekündige, selten längere Stille zu Beginn einiger Titel, wenn die Musik noch nicht angefangen hat, die Anwesenheit des Songs aber schon spürbar ist: ein spannungsgeladenes Verharren vor dem Einsatz der Instrumente, das anders als der mathematisch platzierte Break inmitten einer Komposition – und NMN-Stücke bestehen nahezu vollständig aus Breaks – das Folgende als etwas eigenartig Organisches und Plausibles bereits in diesem stillen Moment erahnen lässt.

Dieser Kunstgriff funktioniert als Stilmittel genauso tadellos wie als Specialeffect zur Spannungssteigerung: NMN verhandeln, heute ein wenig entspannter als zu ihren Anfangszeiten in den Achtzigern, Hektik, ja Hysterie. Ihre Energie erwächst aus einer Weltsicht, die Missständen viel Platz einräumt und sich in emotionalen Räuschen entlädt, komplex und nervös, sarkastisch und wütend. Ihre Musik ist voller Kraft, die ihr Ziel in der Auslösung von Unruhe sieht, was vielleicht eine Erklärung für das irritierende Element ist, das sich frei flottierend durch die Songs bewegt und den HörerInnen nicht selten ein gehöriges Maß an Bereitschaft zur Auseinandersetzung abverlangt.

Trotz aller Komplexität und häufig anstrengendem instrumentalen Überschwang erstaunt dann doch die Eingängigkeit des Materials: NMN verstehen es, schrullige Melodien und pentatonische Gitarrenschräglagen, deren Ursprünge im Jazz zu verorten sind, so zu verschachteln, dass sie im Ergebnis schon wieder nachvollziehbar sind – und mitreißend. Der Preis einer derart kompromisslosen Eigenständigkeit ist klar: NMN ist nie der große Durchbruch gelungen, und erst seit dem Erfolg des Albums „The Sky Is Falling And I Want My Mommy“, einer Kooperation mit ihrem Labelchef und Punk-Papst Jello Biafra, können sie einigermaßen von ihrer Musik leben.

Dem Wissen um den eigenen Status entstammt der nüchterne Optimismus der Band: Es geht um die Suche nach dem Guten, die sich bei aller Kodierung und Düsternis der Inhalte in der humorvoll verstiegenen Metaphorik der Texte manifestiert. Das ist nicht so diffus, wie es wirken mag, sondern als Anspruch und Antrieb ebenso komplex und vielschichtig wie die Musik. Attitüde und Expressivität gehen Hand in Hand mit dem Bedürfnis Affekte auszuagieren und schaffen so die unverwechselbare Zappeligkeit von NMN. Es klingt, als würden die Musiker trotz allen Engagements jeden Moment die Nerven verlieren.

Vielleicht, und das ist durchaus positiv zu verstehen, sind NMN ja so etwas wie die ewigen hyperaktiven Kinder des Rock. Hektisch bauen sie ihre Songs wie Türme aus Bauklötzen, so fragil wie himmelsstürmend, und wenn die Steine ausgehen, lösen sie welche aus dem Fundament des Turms, bis ..., nein, nicht, bis er zusammenbricht. Es ist eine Umschichtung, deren Ergebnis als Rocksong mal labyrinthisch, mal einsam vor sich hin summend, aber immer ein aus dieser Quelle erwachsender Organismus ist. Und es ist, na ja, Punk eben. ULF IMWIEHE

Heute, ab 20.00 Uhr, SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg

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