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Die Faszination der Macht

Im Bann des Diktatoren über dessen Tod hinaus: Mario Vargas Llosa liest aus seinem neuen Roman Das Fest des Ziegenbocks  ■ Von Theo Bruns

Auf Tuchfühlung mit der Macht war Vargas Llosa zeit seines Lebens. Als 14-Jähriger erfuhr er auf der Kadettenanstalt in Lima ihre zerstörerische Wirkung am eigenen Leib – eine Erfahrung, die er in seinem ersten Roman Die Stadt und die Hunde verarbeitete. 1990 unterlag er als Präsidentschaftskandidat seines Landes Peru nur knapp dem späteren Diktator Fujimori, dessen Ära erst in diesen Tagen zu Ende ging. In einen Hexenkessel gewalttätiger Energien habe er während des Wahlkampfs geschaut, bekannte er später.

So war es für ihn eine natürliche Herausforderung, sich an dem Genre des lateinamerikanischen Diktatorenromans zu versuchen. Als Vorlage diente ihm die von 1930 bis 1961 währende Diktatur Trujillos in der Dominikanischen Republik. Es war eine Autokratie bizarren Zuschnitts, voller theatralischer Aspekte und von sadistischer Grausamkeit, welche die Opposition buchstäblich den Haien zum Fraße vorwarf. Sie wurde zum Emblem der Diktaturen ihrer Epoche und Trujillo zum Caudillo par excellence, dem es gelang, die Massen über mehr als ein Vierteljahrhundert in seinen Bann zu schlagen und der erst ins Wanken geriet, als er sich mit dem katholischen Klerus und dem mächtigen Nachbarn im Norden zugleich anlegte. Ein Attentat, zu dem die US-Vertretung die Waffen lieferte, bereitete 1961 dem Leben des „Wohltäters des Vaterlandes“ ein Ende.

Das Fest des Ziegenbocks schildert die letzten Tage im Leben des Rafael Leónidas Trujillo, abwechselnd erzählt aus der Perspektive des Despoten und jener der Verschwörer. Hinzu tritt als zentrale Frauenfigur Urania Cabral, die 35 Jahre nach den Ereignissen in ihre Heimat zurückkehrt und an das Krankenlager ihres Vaters, eines ehemaligen Paladins Trujillos, tritt. Rückblickend erzählt sie ihre Geschichte, die unaufhaltsam auf ein vom Leser ebenso gefürchtetes wie vorhergeahntes Finale zurollt.

Der Roman spielt in der unmittelbaren Entourage des Despoten. Vargas Llosa führt uns ein makabres Kabinett von Schranzen, dienstfertigen Militärs und Würdenträgern vor. In Schach gehalten werden alle von einem System, das auf dem unberechenbaren Wechselspiel von Begünstigung und Erniedrigung beruht und in dem nichts so bedrohlich ist wie die plötzliche Ungnade, welche „wie eine ansteckende Krankheit“ den sozialen Tod herbeiführt.

Mit der ständigen Unsicherheit korrespondiert der Zwang, die Loyalität dauernd unter Beweis zu stellen. Ein zynisches Spiel des Despoten, in dem auch die Sexualität zum Attribut der Herrschaft und Mittel der Unterwerfung wird.

Das Bild der Macht, welches Vargas Llosa entwirft, ist ein hypnotisches: kondensiert im Blick des Tyrannen, dem niemand standhalten kann, in der Empfindung physischer Kälte, die der Entzug seiner Gnade auslöst. Seine Herrschaft beruht auf der Ohnmacht der Untergebenen, die seinen Bann nicht zu brechen vermögen und in einem Morast von Komplizenschaft versinken. Meisterhaft führt Vargas Llosa am Beispiel des zaudernden Generals und Mitverschwörers Román vor, wie dieser Zauber selbst über den Tod des Diktators hinaus wirkt und eine selbstmörderische „servile Willfährigkeit und Ehrfurcht“ bewirkt, die schließlich zum Scheitern des Aufstandsplans führen. Die Folge: ein vom Sohn des Generalissimus angezettelter Rachefeldzug, dem fast alle Attentäter zum Opfer fallen.

Diesen gehört die Sympathie des Autors, auch wenn sie erst spät erkennen, dass „sich hinter der Fassade der Macht ein finsteres Schauspiel zerstörter, misshandelter und getäuschter Menschen“ abspielt. Sie kündigen den Gehorsam auf, ohne den die Macht nicht existiert. Ihr Vorsatz, den Tyrannen zu töten, um die Tyrannei zu beenden, bedeutet auch die Zurückgewinnung von etwas schon verloren Geglaubtem: dem freien Willen.

Als Vargas Llosa den Roman vor einem Jahr in der Dominikanischen Republik vorstellte, musste er auf Grund massiver Drohungen von Trujillo-Nostalgikern in einer gepanzerten Limousine zur Lesung fahren. Die eigentlich schmerzliche Erfahrung war aber, dass die Angehörigen der zu Nationalhelden erhobenen Attentäter der Lesung fern blieben, weil letztere in dem Roman auch mit ihren menschlichen Schwächen gezeichnet werden.

Man mag zum Autor politisch stehen, wie man will: Das Fest des Ziegenbocks ist ein literarisches Meisterwerk. Dass der Roman zudem trotz aufwendiger Recherche und sorgfältiger Konstruktion den Eindruck hinterlässt, scheinbar mühelos geschrieben zu sein, ist Ausweis der Kunstfertigkeit des Mario Vargas Llosa.

Mario Vargas Llosa ist am 12. Mai um 20 Uhr im Deutschen Schauspielhaus. Aus der im Suhrkamp Verlag edierten deutschen Übersetzung liest Peter Striebeck. Moderation: Klaus Harpprecht.

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