: Der Ball wird bestreikt
Die argentinischen Klubs schulden ihren Spielern Gehälter und Prämien in Millionenhöhe, diese antworten mit Arbeitsverweigerung – wahrscheinlich auch am kommenden Wochenende
aus Buenos Aires INGO MALCHER
In Argentinien blieben am letzten Wochenende die Fußballstadien leer und es deutet vieles darauf hin, dass es vorerst auch so bleiben wird. „Auf einer Skala von 0 bis 10 sind wir etwa bei 5“, sagte am Dienstag Julio Alegre, Vizepräsident von Estudiantes Buenos Aires und Mitglied der Kommission, die mit den Spielern verhandelt. „Es wäre verfrüht zu sagen, dass es am Wochenende Fußball geben wird“, meinte Spielervertreter Jorge Domínguez.
Sämtliche Profifußballer waren in Streik getreten, weil die Klubs ihren Kickern Gehälter in Millionenhöhe schulden. Ein Vermittlungsversuch des Arbeitsministeriums bewegte den Argentinischen Fußballbund (AFA) immerhin dazu, ein Angebot zu machen. Aber Sergio Marchi, Generalsekretär der Fußballergewerkschaft (FAA), war skeptisch: „Wenn wir spielen, werden sie uns nicht bezahlen. Sie werden uns verarschen, denn es gibt nichts Schriftliches, sondern nur Worte, und ich glaube, dass das nicht genügt“, sagte er in einer Versammlung der Spielervertreter. Alle waren sich einig, es blieb beim Streik.
Dabei leugnen die Klubs nicht, dass sie Geld schulden. Nachdem fast alle Vereine ihre Kassenbücher geöffnet haben, berechnet die AFA die Außenstände der Vereine bei den Spielern auf 35 Millionen Dollar. Die Spieler behaupten, die Schulden beliefen sich auf das Doppelte. Denn die 35 Millionen bezögen sich nur auf den Teil des Geldes, der in den offiziellen Verträgen steht. Die Vereine schulden also nicht nur Gehälter aus ihren legalen Kassen, sondern auch aus ihren Schwarzgeldkassen. Umgekehrt bedeutet dies, dass die argentinischen Profis nur die Hälfte ihres Einkommens versteuern, was bislang aber noch niemanden gewundert hat.
Der Streit zwischen den Spielern und ihren Arbeitgebern ist exemplarisch für den argentinischen Fußball. So morsch und renovierungsbedürftig wie die Tribünen in einigen Stadien sind, so verkommen und verkrustet ist der argentinische Vereinsfußball. Das Problem ist die wirtschaftliche Konzentration. Es sind nicht mehr als fünf bis sechs Klubs, die die Meisterschaft bestimmen, die internationalen Turniere dominieren, das Fernsehen anziehen und Geld durch Spielerverkäufe nach Europa verdienen. Alle kommen aus Buenos Aires. Die großen Namen Boca Juniors, River Plate und San Lorenzo vorneweg, dahinter Independiente, Vélez und Racing Club. Racing hat schon vor Jahren Konkurs angemeldet, trotzdem ist ihm die Profilizenz nicht entzogen worden. Seit Jahren spielen River Plate und Boca Juniors die Meisterschaft unter sich aus. Wenn die beiden Klubs gegeneinander antreten, spaltet sich das Land in zwei Hälften, ganz Argentinien hängt vor dem Fernseher. Daher mussten River und Boca in der vergangenen Sommerpause auch drei Schaukämpfe bestreiten. Bei diesen beiden Klubs verdienen die Spieler ähnliche Gehälter wie in Europa. Anders ist dies beim Rest der Liga, wo die Stars sich mit 2.300 Dollar monatlich zufrieden geben müssen, die normalen Spieler aber nicht mehr als 800 Dollar einstecken.
Die Spiele der kleineren Vereine kommen Sonntag abends in der Wochenendzusammenfassung, aufgenommen mit einer einzigen uralten Kamera. Dadurch entsteht ein Teufelskreis: keine Fernseh- und Werbeeinnahmen, kein Geld. Und wer kein Geld hat, kann keine teuren Spieler verpflichten. Und wer keine guten Spieler hat, kann die Meisterschaft vergessen. Trotzdem werden immer wieder Versuche unternommen, mit teuren Neuverpflichtungen das Ruder herumzureisen. Und genau dies führt zu der Ebbe in den Kassen der Klubs.
Das große Geschäft aber sind die Spielerverkäufe. Hier hat sich eine halbkriminelle Grauzone mit undurchsichtigen Machenschaften entwickelt. Während die Klubs versuchen, sich über den Transfermarkt zu finanzieren, macht einer dabei immer Gewinn: Der Spielervermittler.
Der Streik der Spieler ist vor allem eine Solidaritätsaktion der Stars mit denjenigen Spielern, die bei Chacarrita oder Newell’s Old Boys beschäftigt sind. Denn auch wenn Boca Juniors ebenfalls im Zahlungsrückstand ist, so hat die Aktiengesellschaft dieses Problem schnell geregelt und ist dabei, ihre Schulden in Raten abzustottern. Trotzdem wird sie der Streik schmerzen. Denn der Zeitpunkt ist gut gewählt. Am 16. Mai beginnt die zweite Runde der Copa Libertadores. Wenn bis dahin keine Einigkeit erzielt worden ist, drohen die Spieler auch den Goldesel des lateinamerikanischen Fußballs zu bestreiken, der bisher vom Arbeitskampf ausgenommen ist. Deshalb mussten die Spieler von Rosário Central am Dienstag trotz des Ausstandes beim chilenischen Vertreter Cobreloa antreten und gewannen 3:2. Ob sie die Prämie dafür jemals sehen werden, steht auf einem anderen Blatt.
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