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Kein Mitleid mit dem Gnadenlosen

aus Washington ELLY JUNGHANS

Kein Gentest könnte seine Unschuld beweisen, kein Ansatzpunkt, der die Öffentlichkeit milde stimmen könnte. Er war zur Tatzeit kein Minderjähriger, seine Hautfarbe ist weiß. Sein Fall passt in keine Schublade, die das Todesurteil gegen ihn ungerecht erscheinen ließe. Die nahende Hinrichtung von Timothy McVeigh, dem Attentäter von Oklahoma City, hat die Todesstrafengegner in den USA auf sich selbst zurückgeworfen.

„Alles, was wir sonst aus der Tasche ziehen, kann man bei McVeigh nicht bringen“, sagt Karen Bagge, USA-Expertin der deutschen Sektion von amnesty international. Für den Mann, der den schwersten Terroranschlag in der Geschichte der USA verübte, bringe kaum jemand Mitgefühl auf. „Der Konsens in der US-amerikanischen Gesellschaft ist in diesem Fall überwältigend.“

Als Timothy McVeigh am 19. April 1995 in Oklahoma City seine selbst gebastelte Bombe hochgehen ließ und damit 149 Erwachsene und 19 Kinder tötete, war er laut psychiatrischem Gutachten im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Vor Gericht kämpften die besten Anwälte des Landes für ihn. In der Tat sagen vier von fünf US-Bürgern bei Umfragen, dass McVeigh aus ihrer Sicht den Tod verdiene. Darunter sind viele, die in den vergangenen zehn Jahren an der Todesstrafe zu zweifeln begonnen hatten. 1990 befürworteten noch 76 Prozent der US-Bürger das gerichtlich angeordnete Töten. Derzeit sind es 67 Prozent.

Justizirrtümer

Dieser Rückgang ist ein Erfolg für die Anti-Todesstrafe-Bewegung. Sie verlegte sich in jüngster Zeit darauf, die Schwächen des Systems aufzuzeigen. Die grundsätzliche ethische Auseinandersetzung trat in den Hintergrund. Die Kampagnen der National Coalition to Abolish the Death Penalty oder von amnesty international werden heutzutage wie die Feldzüge von Rechtsanwälten geführt, die ihre Klienten aufgrund besonderer Umstände frei zu bekommen suchen. Der eine Todeskandidat ist geistig behindert, der nächste war zum Tatzeitpunkt noch nicht volljährig. Im Fall der deutschen Brüder LaGrand wurde gegen internationale Vereinbarungen verstoßen. Der elektrische Stuhl oder die Gaskammer werden als besonders harte Strafmethode angefochten, bis hoch zum Verfassungsgericht in Washington.

Am stärksten wurde der Glauben an die Todesstrafe von den Justizirrtümern erschüttert, die bekannt geworden sind. Geschichten von betrunkenen oder schlafenden Pflichtverteidigern machten die Runde. Der wissenschaftliche Fortschritt in Form von genetischen Fingerabdrücken half beim nachträglichen Unschuldsbeweis. 95 Todeskandidaten wurden seit 1977 freigelassen – wegen juristischer Formfehler oder eines Justizirrtums.

Zugleich wurden gerade jene US-Bürger, die vom Wirtschaftsboom und sinkenden Kriminalitätsraten profitieren konnten, für Appelle an Gnade und Gerechtigkeit empfänglicher. Erst kam die engelhafte Axtmörderin Karla Faye Tucker aus Texas, deren Bekehrung zur gläubigen Christin so überzeugend klang. Dann rief der republikanische Gouverneur von Illinois angesichts von Enthüllungen über unschuldige Todeskandidaten ein Hinrichtungsmoratorium aus. Hollywood-Filme wie „Dead Man Walking“ finden selbst in den Shopping Malls der Vorstädte ein Publikum.

Durch McVeigh droht das Pendel jetzt wieder in die andere Richtung auszuschlagen. Er komme den Befürwortern der Todesstrafe als negatives Aushängeschild gerade recht, meint Bonnie Bucqueroux von Crime Victims for a Just Society, einer Gruppe von Verbrechensopfern, die sich für die Abschaffung des gerichtlich verordneten Hinrichtens einsetzt. „Auf diese Weise können sie die Unterstützung für die Todesstrafe, die langsam schwindet, wieder anfachen.“ Nicht nur US-Präsident George W. Bush betonte in der vergangenen Woche, wie eisern er hinter der Todesstrafe stehe.

Keine Abschreckung

Doch gleichzeitig birgt der Fall McVeigh für Menschenrechtsgruppen auch eine Chance. „Es ist ganz gut, zu sagen, lasst uns mal wieder weg von den Emotionen und mehr vom Kopf her argumentieren“, sagt Karen Bagge von amnesty international. Schließlich lasse sich an diesem Fall bestens illustrieren, dass die Todesstrafe mit Abschreckung nichts zu tun habe. „So einen Typen kann man nicht abschrecken, genauso wenig wie Selbstmordattentäter im Nahen Osten. Dazu sind diese Leute viel zu verbohrt.“

Wenn McVeigh am 16. Mai im Bundesgefängnis von Terre Haute in Indiana die tödliche Injektion bekommt, dann stirbt er vor einer kleinen Auswahl von geladenen Gästen. Er selbst hat nach jüngsten Angaben fünf Zuschauer benannt, darunter den Schriftsteller Gore Vidal, der eigens aus Italien anreist, um Material für die Hochglanzzeitschrift Vanity Fair zu sammeln.

Per Los wurden zehn Hinterbliebene ausgewählt, um die Hinrichtung stellvertretend für die Opfer zu bezeugen. 300 weitere Angehörige wollen McVeighs Tod live per Videoschaltung verfolgen. Die Leitung wird in einen Raum der Strafvollzugsbehörde am Flughafen von Oklahoma City gelegt. Aufzeichnungen sind verboten.

In Terre Haute werden zehn ausgewählte Journalisten hinter der Glasscheibe zur Todeszelle sitzen. Sie sind verpflichtet, den 1.400 anderen angereisten Presseleuten im Anschluss aufs Genaueste zu schildern, was sie gesehen haben. Nach derzeitiger Rechtslage genügt diese Regelung, um das Informationsrecht der Allgemeinheit zu erfüllen.

Doch Todesstrafenbefürwortern wie Robert Blecker von der Rechtsfakultät der New York University geht die Einbeziehung der Öffentlichkeit im Fall von McVeigh nicht weit genug. „Alle Amerikaner waren Opfer dieses Anschlags, deshalb sollten auch alle der Hinrichtung beiwohnen dürfen.“ Immerhin werde im Namen des Volkes ein Mensch umgebracht. „Wir haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zu sehen, was wir da tun.“

US-Justizminister John Ashcroft ließ sich von diesem Argument nicht überzeugen. McVeigh dürfe kein Forum für Unflätigkeiten, Volksreden oder Märtyrertum gegeben werden, entschied er. Eine Entertainment-Website versuchte vergeblich, die Übertragungsrechte vor Gericht zu erstreiten. McVeigh hatte den Antrag unterstützt. „Ich bin der Meister meines Schicksals. Ich bin der Kapitän meiner Seele“, will er am 16. Mai rezitieren.

Auch unter den Gegnern der Todesstrafe wird kontrovers diskutiert, ob eine öffentliche Hinrichtung der eigenen Sache dienlich wäre. Ordensschwester Helen Prejean, Autorin von „Dead Man Walking“, ist dafür, weil sie hofft, dass sich die US-Bürger hinterher mit Grauen von der Todesstrafe abwenden. Andererseits sind die Amerikaner abgehärtet, und auf dem Fernsehschirm dürfte eine Hinrichtung mit der Giftspritze allzu harmlos wirken. Wenn der Staat einen Menschen von Rechts wegen umbringe, dann solle er sein Geschäft allein besorgen, finden andere aus der Anti-Todesstrafe-Bewegung.

Unter den Hinterbliebenen gibt es viele, die McVeigh nicht sterben sehen wollen. „Ich bin froh darüber, dass er hingerichtet wird. Aber ich glaube nicht, dass wir uns dadurch besser fühlen werden“, meint Pam Whicher, deren Mann bei dem Anschlag getötet wurde. Auch Bud Welch, der seit dem Tod seiner Tochter bei dem Attentat einen Kreuzzug gegen die Todesstrafe führt, glaubt nicht daran, dass Sehen gleich Abschließen ist. „Der Heilungsprozess ist etwas, was man für den Rest seines Lebens tagtäglich durchmachen muss.“

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