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Riester vor dem großen Durchbruch

Morgen soll im Bundesrat das Vermittlungsergebnis zur Rentenreform durchkommen

Ein quälender Prozess, der mit den ersten Vorschlägen 1999 begann, wäre beendet – zumindest vorläufig

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Vielleicht ist es so, wie es der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt, den Journalisten am Mittwochvormittag ausmalt. „Nie ist jemand zu Diepgen gegangen und hat gesagt: Ihr müsst jetzt springen.“ Vielleicht stimmt das sogar. Vielleicht hat der Regierende Bürgermeister von Berlin solche Drohungen nicht mehr nötig.

Aus der Sicht von Eberhard Diepgen, dem Christdemokraten, gibt es genügend Gründe, um morgen im Bundesrat für das Vermittlungsergebnis zur Rentenreform zu stimmen. Da ist nicht nur das Defizit im Landeshaushalt, die Krise bei der landeseigenen Bankgesellschaft, die dadurch ins Wanken geratene Koalition aus CDU und SPD. Vor allem sind da Lockungen, die ein Regierungschef einer Stadt, der es an großen Firmen mangelt, nicht widerstehen dürfte. 1.000 Arbeitsplätze sollen, klappt es mit der Rentenreform, im Großraum Berlin und Brandenburg angesiedelt werden. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ist schon in der Hauptstadt – so sei es von der Sache her nur natürlich gewesen, sie auch mit der neuen, zusätzlichen Aufgabe bei der Privaten Altersvorsorge zu betrauen, sagt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Schmidt.

Nein, legt er dann noch einmal nach, einen Kuhhandel bei der Rente werde es nicht geben. Die Journalisten lachen, und Schmidt täte es wohl auch, wenn er in diesem Augenblick nicht die Regierung zu vertreten hätte. Denn genau darum geht es, wenn am Donnerstagabend Gerhard Schröder mit den Ministerpräsidenten der SPD-Länder zusammentrifft, um die Lage vor der entscheidenden Sitzung des Bundesrates zu sondieren. Schon im Vorfeld haben andere ihre Forderungen hintangestellt, um das große Ganze nicht zu gefährden. Das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen etwa wollte seine Knappschaftskassen, die mit dem Rückgang des Kohleabbaus auf der Suche nach einer neuen Funktion sind, mit der privaten Altersvorsorge betrauen. Als sich abzeichnete, dass Schröder ein Angebot für Berlin und Brandenburg brauchte, wurde die Idee fallengelassen.

Natürlich, sagt Schmidt, werde es auch zwischen dem Kanzler und den Ministerpräsidenten „Einzelgespräche“ geben. In Bremen und Brandenburg stellt die SPD die Regierungschefs, in Berlin mit Klaus Böger einen Bürgermeister. Der hatte schon damals, als vor knapp einem Jahr im Bundesrat die Große Steuerreform durchkam, an Stelle Diepgens das „Ja“ in den Saal gerufen. Man ahnt, dass es diesmal ähnlich werden wird. Mit einem Geldsegen war es Schröder damals gelungen, die schwächsten Glieder aus der Front der von CDU mitregierten Länder herauszubrechen. Damals wie heute ist die Lage übersichtlich: Die SPD-FDP-Koalition in Rheinland-Pfalz hat bereits Zustimmung signalisiert. Bleiben noch vier. Brandenburg und Bremen, wie Berlin von Großen Koalitionen regiert, zögern noch. Doch deutet manches darauf hin, dass sie am Ende Schröder folgen werden. Im Vermittlungsausschuss hatten sie sich der Stimme enthalten – im Bundesrat müssten sie mit Ja votieren, denn Enthaltungen zählen dort wie Neinstimmen. In Mecklenburg-Vorpommern würde PDS-Chef Helmut Holter zwar gern mit seinem Partner, der SPD, die Reform im Bundesrat mittragen. Nur hat die Bundestagsfraktion ihr Nein bereits erklärt. Gregor Gysi, so wird kolportiert, arbeite an einem Ausweg. Schwerin wäre eine zusätzliche Sicherheit für Schröder – sollte einer aus der Riege der kleinen drei – Berlin, Brandenburg und Bremen – ausscheren.

Fällt die Entscheidung im Bundesrat für das Vermittlungsergebnis – im Bundestag gilt am Freitag die Zustimmung aufgrund der klaren rot-grünen Mehrheit als sicher –, dürfte Bundesarbeitsminister Walter Riester gehörig aufatmen. Ein quälender Prozess, der mit den ersten Vorschlägen zum Reformwerk im Juni 1999 begann, wäre auf parlamentarischer Ebene beendet – zumindest vorläufig. Denn noch steht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Besteuerung der Alterversorgung aus. Bis zuletzt war es Riester nicht gelungen, Union und FDP im Vermittlungsausschuss von seinen Änderungskonzepten zu überzeugen. In der vierten Runde des Verfahrens musste die Mehrheit von Rot-Grün am Dienstag abend schließlich die ungünstigste Variante wählen und die eigenen Verbesserungsvorschläge mit Immobilien und der Hinterbliebenenrente (siehe unten) mit den eigenen Stimmen durchbringen.

Riester wiederholte gestern vor den Kameras, was ihm in den letzten Wochen aufgefallen war: Der Union sei es offenbar nie um einen wirklichen Kompromiss gegangen. Ende März, nach einer Sitzung der gemeinsamen Arbeitsgruppe von Bundestag und Bundesrat, hatte er bereits die Vermutung geäußert, die Verhandlungsführer der Union „hätten gar nicht in Gespräche eintreten dürfen“. Damals lagen die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zwei Tage zurück. Doch die Linie, die führende Köpfe der Union, unter ihnen Roland Koch und Edmund Stoiber vorgezeichnet hatten, hielt bis zum Dienstagabend stand. Riester hatte getan, was in seiner Macht lag. Nun ist, wieder einmal, die Kunst des Kanzlers gefragt.

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