: Vernetzung is over
Von „freien Gruppen“ zu „privat finanzierten Produktionseinheiten“: Die Off-Theater-Szene traf sich in Dortmund zu einem Gedankenaustausch über die veränderten Bedingungen künstlerischer Arbeit
von CHRISTIANE KÜHL
Seit geraumer Zeit gilt die Welt als Dorf. Aber erstaunlicherweise kann man sich noch immer in ihr verlaufen. So muss es vielen der am Wochenende bei Off Limits, dem dritten Internationalen Off-Theater-Symposium, erwarteten Theatermachern ergangen sein. Aus 28 Ländern, von Australien über Belgien, Litauen und Portugal bis Serbien wollten sie nach Dortmund reisen, aber dort, im frisch renovierten Theater im Depot, sah man nur eine Hand voll Gäste, die die Simultanübersetzung in Anspruch nahm.
Schade war das schon, wollte man doch den Stand der Kunst, ihre Krise und Strategien der Bewältigung mit gleich gesinnten Profis unterschiedlicher geografischer und gesellschaftlicher Kontexte diskutieren. Andererseits machten die Abwesenden gleich zu Beginn deutlich, was die Teilnehmer nach zwei Tagen oft diffusen Herumredens als eine der wenigen Erkenntnisse mit nach Hause nehmen konnten: Die große Vernetzung ist out. Der Begriff „freies Theater“ ist natürlich auch out. Selbst Rolf Dennemann, Organisator des von der Kooperative Freier Theater ausgerichteten Off-Limits-Programms, „mag den Begriff schon gar nicht mehr in den Mund nehmen“. Freies Theater, das klingt so verdammt nach den Siebzigern, nach alternativ und anti. Stattdessen, schlug Walter Heun, künstlerischer Leiter des Tanzes am Theater Luzern, vor, solle man besser von „privat finanzierten Produktionseinheiten“ sprechen. Auch Armin Kerber, seit 1997 Leiter des Theaterhauses Gessnerallee in Zürich, definiert die Differenz zum Staatstheater weniger ästhetisch als politisch-ökonomisch: „Off- und Staatstheater unterscheiden sich im Auftrag: Staatstheater müssen mehrheitsfähig sein. Wir nicht. Wir werden nicht hoch subventioniert, also müssen wir auch nicht für alle was dabei haben. Freies Theater ist Theater für Leute, die eigentlich nicht ins Theater gehen.“
Eine gewagte These für jemanden aus Zürich, wo mit Christoph Marthaler als Schauspielhaus-Intendant das Staatstheater doch in eine ganz ähnliche Richtung zielt. Viele Künstler, die aus der freien Szene kommen und dort auch weiter präsent sind, arbeiten hier während dieser Spielzeit: die amerikanische, in Brüssel lebende Choreografin Meg Stuart etwa oder Falk Richter, der seine ersten Arbeiten auf Kampnagel zeigte und noch in dieser Spielzeit seine Medienfarce „Peace“ als Koproduktion zwischen der Berliner Schaubühne und Kampnagel erarbeitete.
Dass die ästhetischen Grenzen zwischen Off- und Staatstheater oder Hoch- und Subkultur aufgeweicht sind, darf man bereits einen alten Hut nennen. Einen Ideen-, Ästhetik- und Künstlertransfer gibt es seit etwa fünf Jahren massiv. Neu an der aktuellen Situation ist, dass es nun auch einen „Managertransfer“ gibt: Tom Stromberg, ehemals am Frankfurter TAT und nun Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, sowie Elisabeth Schweeger, die nach Jahren der Förderung von Crossover-Projekten am Münchner Marstall im Herbst das Schauspiel Frankfurt eröffnen wird, sind die prominentesten Beispiele. Auch wenn Stromberg schwer um Publikum zu kämpfen hat und Schweeger für Frankfurt gerade einen gemäßigten Spielplan vorgestellt hat: Das deutsche Staatstheater hat sich stark verändert. Wie aber steht es um die freie Szene?
Zum einen gibt es eine Hand voll junger Künstler, die ohne Berührungsängste an dieses sich umstrukturierende Staatstheater wechseln. René Pollesch ging mit Stromberg als Hausautor ans Deutsche Schauspielhaus und wird nächste Spielzeit künstlerischer Leiter des Prater der Volksbühne in Berlin. Samuel Schwarz der hochgelobten Schweizer Gruppe 400 ASA wird Hausregisseur am Berliner Maxim Gorki Theater, Jan Jochymski von TheaterschaffT am Deutschen Theater in Berlin. Eine Reihe anderer junger Theatermacher wechselt relativ leichtfüßig zwischen den Produktionssystemen; Nicolas Stemann, Sandra Strunz, Igor Bauersima oder Matthias von Hartz zum Beispiel machen neben ihrer Staatstheaterarbeit auch Inszenierungen mit schlichter Projektförderung. Solche Grenzgänger, die noch in den Achtzigern von der Szene Renegaten geschimpft wurden, waren jedoch in Dortmund nicht zugegen.
Bei Off Limits spalteten sich die Teilnehmer in zwei ungleiche Lager. Das wesentlich kleinere wurde umso engagierter von Willi Thomczyk vom Jungen Theater Kohlenpott vertreten. Seinen Vortrag „Theater und Jugend – der Kampf gegen Big Brother“ eröffnete er in guter alter antiautoritärer Manier: „Ich soll hier ’nen Vortrag halten. Weil ihr das eh schon alles kennt, fang ich mit ’nem Lied an.“ Griff zur Gitarre und sang dem Auditorium „Halt dich an deiner Liebe fest“. In den Sechzigern begann Thomczyk, der „den Zadek und all die Flachpfeifen“ kennt, Kindertheater zu machen. „Wir wollten leben! Da ging was ab. Nicht nur in der Hose, auch im Kopf.“ Heute fehlt ihm im Theater die Geborgenheit, das Anfassen, das gemeinsame Ziel. „Deswegen laufen auch die Zuschauer wie Lemminge weg. Theater ist kein Fest mehr. Da kommt keine Freude mehr auf.“
Nun, bei Thomczyks Vortrag kam Freude auf. Gemischt mit kühlem Gruseln, dass manche Künstler wahrhaftig ihr Diskursrepertoire seit 1968 nicht mehr durchgelüftet haben. Anfassen! Brrr. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch die Diagnose, dass das zeitgenössische Theater Probleme mit seinem Publikum hat. Auch die Tatsache, dass Theater kein Fest mehr ist, machte mehr Teilnehmern zu schaffen – besonders den zahlreichen Festivalmachern unter ihnen.
1968 gab es in Europa 30 Theaterfestivals; mittlerweile soll es sich um 3.000 bis 4.000 handeln. Ästhetische Indifferenz, war man sich in Dortmund einig, habe zu dieser Inflation und einer einhergehenden marktgerechten Uniformierung der Ästhetik geführt. Am Anfang der Festivals, die schon immer ein besonderes Forum für die Präsentation internationaler Off-Theater waren, stand die exakt gegenteilige Idee: Es ging darum, das Andere zu zeigen. Und tatsächlich haben gute Festivals, wie etwa das Theater der Welt 1985 mit seiner exzeptionellen Präsentation flämischer Künstler, den hiesigen Theaterbetrieb nachhaltig inspiriert. 2001 jedoch, da Internationalität Normalzustand ist und Festivals nicht mehr – wie jedes gute Fest – den Ausnahmezustand markieren, sondern den Charme der institutionalisierten Revolution versprühen, sei unter ihnen bestenfalls eine „Restdifferenz Marketing“ auszumachen, wie Martin Roeder-Zerndt darlegte. Der Geschäftsführer des Internationalen Theater-Instituts (Deutschland) setzt gegen wuchernde Koproduktionsmoden auf „radikale Entnetzung“.
Dass dort, wo der Markt nicht ist, das interessanteste Theater entsteht, war Konsens des Symposiums. Gordana Vnuk, neue Leiterin der Kampnagelfabrik, ist überzeugt, dass man dafür Europa verlassen muss: Allein an den Rändern entsteht Kunst, die – auch dem Zentrum – etwas zu sagen hat. Das Stichwort lautet „Glokalisation“. Die Frage der Vermittlung ist auch hier ungeklärt, doch gerade das Off-Theater kann sie versuchen. Muss ja nicht alles reibungslos funktionieren, wie Marianne Weber vom Theater im Ballhaus Bonn mit Nam June Paik unterstrich: „When too perfect, lieber Gott wird böse.“
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